fragte die amtierende Ministerpräsidentin Thüringens Christine Lieberknecht am 12. Juni im Rahmen ihres Vortrags auf Anfrage des Fördervereins der Theologischen Fakultät der Uni Jena hin. Damit platzierte sie sich in eine Abfolge von Politikern und Theologen, die nach Einladung desselben Vereins zu aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen Stellung beziehen sollten.
Die Referentin begann ihre Ausführungen mit dem Versuch einer grundlegenden Wesensbestimmung des
Freiheitsbegriffes beginnend mit der rühmenden Erwähnung Friedrich Schillers als Dichter und Denker freiheitlicher Ideale. Veranschaulichen konnte Frau Lieberknecht ihre
Vorstellung von der Beziehung der Politik zur Freiheit mit den Worten Hannah
Arendts: „Der Sinn der Politik ist Freiheit“. Eine enge Verknüpfung sieht die
CDU-Politikerin zwischen der Freiheit und der Würde des Menschen, was nicht
zuletzt im Artikel 1 des Grundgesetztes honoriert würde. Die daraus ableitbare
sich bedingende Wechselseitigkeit von Freiheit und Würde veranschaulichte die
Ministerpräsidentin am „Mythos von Sisyphos“, bekannt geworden durch den
algerisch-französischen Existenzialisten Albert Camus. Der Kern unserer
Freiheit liege in der Bewahrung unserer Würde. Würdelosigkeit wäre immer auch
Unfreiheit. Als ehemalige DDR-Bürgerin und Studentin in Jena erhalten ihre
Ausführungen zur Freiheit/Unfreiheit eine zusätzliche Note eigener
Betroffenheit.
Nachdem
Frau Lieberknecht Freiheit und Würde zu ihren zentralen Punkten erhoben hat, widmete
sie sich darauf folgend unserer Gegenwart. Ihren Beobachtungen zufolge leben
wir in einer Zeit, die geistig gesehen in großer Distanz zu den beschworenen
Freiheitsidealen stehe. Gewinnmaximierung und kompromisslose Luststeigerung seien
materialistische Ausdrücke eines pervertierten Freiheitsbegriffs. Allerdings
sehe sie heilsame Anzeichen in Politik und Gesellschaft, die sie in einer „neuen
Nachdenklichkeit“ zu erkennen vermag. Die Anschläge auf das World Trade Center
2001 ließen sich zeitlich als Beginn dieser geistigen Umkehr festmachen. Durch
die Finanz-und Wirtschaftskrise würde diese Nachdenklichkeit weiterhin
befördert. Die besorgniserregenden Störfälle der Reaktoren in Fukushima, Japan, fanden ebenfalls Erwähnung. Kennzeichnendes Merkmal dieses langsamen
aber stetigen geistigen Umbruchs sei das Infragestellen bisheriger Gewissheiten
(z.B. nach Blüm, die Renten seien sicher). Unabdingbare Voraussetzung für das
Regierungshandeln im Lichte dieser neuen Nachdenklichkeit seien gefestigte
Wertegerüste. Ihrer Meinung nach würden religiöse (christliche) Wurzeln am
sichersten für die benötigte Festigung sorgen können. Mit den drei Vs: "Verantwortung, Verlässlichkeit und Vertrauen" seien die Maßstäbe für sie als
Christin am deutlichsten umschrieben. Große Inspiration erhält sie aus den
Schriften Martin Luthers, der „Von der Freiheit eines Christenmenschen“
spricht.
Zwischenvermerk:
In Anbetracht Luthers paranoiden Hexenwahns, seiner abstoßenden Haltung zu
behinderten Menschen und seines fanatischen Judenhasses lässt sich meiner
Meinung nach die Beanspruchung Martin Luthers als christlichen Freiheitsdenker
eines wirklich globalen und übergreifenden Freiheitsbegriffes (und nur darauf
kommt es an !) nicht mehr aufrechterhalten. Es ist mehr als evident, dass
Luther unter der Freiheit eines Christenmenschen eben nur jene Freiheit eines
Christenmenschen nach Luthers ganz eigener Vorstellung verstanden hat. In
seinen Überlegungen war nie die Rede vom Prinzip eines würdevollen Umgangs mit
Anders-oder Nichtgläubigen, siehe auch http://hpd.de/node/13504
über die Rolle des
geistigen Erbes Luthers im Nationalsozialismus.
Zurück
zum Vortrag der studierten Theologin Lieberknecht. Die innere Freiheit, die ein
Christ durch seinen Glauben erlange, sei die Basis für sein Handeln im Alltag gleichermaßen wie in der Politik. Die
innere Identifikation durch den Glauben verhindere die Versuchung fehlende
Identität durch Insignien des Kapitalismus auszugleichen, die doch in
Wirklichkeit nur Zeugnis davon abgäben wie ungefestigt das innere Rüstzeug
gegenüber verfehlten Freiheitsvorstellungen sei. Nach Lieberknecht ermögliche der
Glaube, Politik zu gestalten. So tritt sie unter Betonung der Menschenwürde auch
für die Freiheit ein eine Schullandschaft zu gestalten, in denen Schulen in
freier Trägerschaft ermöglicht und gefördert
werden können, auf dass unsere Bildungslandschaft pluralistischer werde. Hier
würde ich gerne erneut Kritik an ihrer Position üben wollen. Das Ziel der
Bildung sollte meiner Ansicht nach nicht Pluralität sein im Sinne des
Überlassens der Lerninhalte an etwaige Träger, die der staatlichen Kontrolle
wenig zugänglich sind. Mit der freien Trägerschaft sehe ich eine reale Gefahr,
dass Schulen als staatliche Institutionen mit Glaubensinhalten, z.B. über
Kooperationen mit Gemeinden und Kirchen überschwemmt werden, die wir gerade,
zumindest in weltanschaulich neutralen Orten wie der Schule, zu verhindern versuchen.
Mag sein, dass sie aus christlicher Sicht und unter Wertschätzung ihrer
„inneren Freiheit“ andere daran teilhaben lassen möchte, doch aus ihrer
Freiheit kann ohne weiteres auch eine Bevormundung und Unfreiheit des Schülers resultieren.
Weitere Ausführungen folgten, in denen sich Lieberknecht als politisch aktive
Christin gestärkt fühlt mitzugestalten. Nachhaltigkeit und die Stärkung der
Bürgergesellschaft sind exemplarisch herausgegriffen worden. Da mir dieser Teil
ihres Vortrags nicht ganz einleuchtete, vermute ich für das zweite Beispiel,
dass durch das freie Individuum als kleinste Struktureinheit unserer
Gesellschaft und über die Betonung seiner Freiheit, Unfreiheit durch das Diktat
komplexerer und größerer Struktureinheiten, z.B. die Regierung (?) vorgebeugt
wird, was die Stärkung der Bürgergesellschaft bedeutet.
Herausgefordert
werden konnten ihre Vorstellungen allerdings noch im Anschluss des Vortrags
durch Fragen des Publikums. So wurde gefragt wie sich das Wachstumsmantra der
CDU mit dem Nachhaltigkeitsgedanken der Ministerpräsidentin verträgt. Die
Antwort blieb kurz und kulminierte in der Annahme, dass sich Wachstum und
Nachhaltigkeit nicht auszuschließen hätten und damit kein Widerspruch offenliege,
der aufgelöst werden müsste. Das Thema der Menschenwürde konnte durch die Frage
eines Zuschauers aufgegriffen werden, der den würdelosen Umgang mit dem
griechischen Volk durch Politik und Gesellschaft anmahnte und damit wohl Lieberknecht
eine persönliche Stellungnahme abverlangen wollte. Die ausgebildete Theologin
bezeugte Solidarität mit dem griechischen Volk und war nicht müde zu erwähnen,
dass ihre eigene Kritik am Fehlverhalten deutscher politischer Akteure harsch
angefeindet wurde. Eine andere Frage war vielmehr der eigene Wunsch nach der Vergewisserung,
ob Lieberknechts Vortrag verstanden wurde. So hat der Fragesteller die innere
Freiheit eines Gläubigen auch als äußere Freiheit in der Politik deuten wollen
und konnte Bestätigung von der Vortragenden erhalten. Zugegebenermaßen hatte
ich selbst einige Male Schwierigkeiten das Thema des Abends in ihren
Ausführungen zu erkennen. Ob dies an ihrem Vortrag oder an mir liegt, bleibt
offen. Auf die Frage hin, warum sie der CDU beigetreten sei, erzählte
Lieberknecht vom Umfeld ihres damaligen Gemeindepfarramts, in dem die
Kirchenältesten mehrheitlich CDU-Anhänger waren, worin sich auch ihre eigene
Parteimitgliedschaft bei der CDU begründet. Ein anderer interessierter Zuhörer
wollte in Erfahrung bringen welche Gebete sie zurzeit im Parlament gen Himmel
richtet, woraufhin sie ein wenig irritiert zu sein schien. Das „Vater-unser“ und das
freie Gebet verriet sie, darauf käme sie desöfteren zurück. Auf meine Frage hin
wie sich die Freiheit eines Christenmenschen, formuliert durch Luther und die
Rede von der Würde des Menschen mit den Äußerungen von Bischof Overbeck
verträgt, der nichtgläubigen Menschen erst kürzlich in der Position als
Militärbischof und Vertreter der christlichen Seelsorge der Bundeswehr das
Menschsein abgesprochen hat, konnte ich keinen direkten Bezug ihrer Antwort auf
meine Frage erkennen, außer dass abermals von Würde gesprochen wurde und das „Miteinander
reden auf Augenhöhe“ beschworen wurde. Letzteres lässt sich allerdings nicht
ansatzweise im Verhalten von Herrn Overbeck erkennen. Natürlich muss sie nicht
Stellung zum Verhalten anderer Menschen beziehen, doch wie authentisch lässt
sich die viel besungene Menschenwürde vertreten, wenn Christen heute noch die
Würde von Homosexuellen, Nichtgläubigen, Geschiedenen und vielen mehr regelmäßig mit Füßen treten.
In
meiner Schlussbemerkung muss ich hervorheben, dass nach Lieberknechts
Auffassung der Christ in der Politik frei sei, weil er die Würde des Menschen
betont. Sie hat sich neben tendenziösen Bibelstellen immer und immer wieder auf
das Grundgesetz bezogen, was die Frage erlaubt warum ein Glaube als Argument
notwendig wird, der einem angeblich die Wahrung der Menschenwürde abverlangt,
wenn diese Würde explizit und unmissverständlich auch staatlich verbrieft wird.
Ich komme nicht umhin einen Vergleich zu wählen, der sich auf erlaubte
Sharia-Gerichte in Großbritannien bezieht, die gültiges Gesetz nicht (!) brechen.
Der Autor des entsprechenden Artikels fragte hinsichtlich ihrer Akzeptanz durch
die Regierung, warum sie denn als solche überhaupt notwendig seien, wenn das Gesetz im Einklang mit ihnen sei? Genauso verhält es sich mit dem christlichen Glauben
und der Menschenwürde. Wenn zur Unterlegung Lieberknechts Punkte das
Grundgesetz herhalten muss, wo bleibt dann der exklusive Anspruch der Christen
auf die unantastbare Menschenwürde? Die Deutung des Begriffes ist längst nicht mehr das Monopol des Christentums.
gbs
Thomas Gantert
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