Prof. Eberhard Tiefensee
Foto: Uni Erfurt
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Am
Freitag, dem 22.02. war Eberhard
Tiefensee,
Katholischer Theologe und Bruder des ehemaligen
Bundesverkehrsministers, an der Uni Jena als Redner zu Gast. Den
Rahmen dafür bildete eine Tagung
der
Theologischen
Fakultät
zum Thema Konfessionslosigkeit.
Tiefensees
Beitrag zur "Suche von angemessenen theologischen
Verstehenskategorien zu diesem komplexen Phänomen" bestand in
einem öffentlichen Vortrag mit dem Titel:
"Der 'selbstgenügsame Humanismus' zwischen Naturalismus und
Christentum: Ein Positionierungsversuch im Kontext der
Konfessionslosigkeit".
Sowohl
die Veranstalter im Vorfeld als auch der Referent während seines
Vortrags haben sich nach Kräften bemüht, den Verdacht auszuräumen,
das ganze wäre mit Missionierungs-Absichten verbunden. Das ist in
der Theorie löblich und zumindest Tiefensee, den ich als einzigen
beurteilen kann, hat sich auch daran gehalten. Dabei hätte er es
nicht einmal so sehr betonen müssen; außer den Tagungsteilnehmern
waren nämlich kaum mehr als zehn Leute gekommen.
Zum
gesamten Gedankengang seiner Ausführungen muss gar nicht so viel
gesagt werden. Vor allem beschrieb er verschiedene Ausprägungen von
Konfessionslosgkeit, und das aus meiner Sicht ganz ordentlich.
Wahrscheinlich
ist er selbst überzeugt, sich durchgehend wertungsfrei geäußert zu
haben. An einigen Stellen brach sie dann aber doch wieder durch: die
alte Leier. Phrasen, Vorurteile, Voreingenommenheiten. Die
haarsträubendsten lassen wir uns an dieser Stelle auf der Zunge
zergehen:
1)
Antihumanismus
Es
ist ja erst einmal richtig, dass sich der Begriff Humanismus im
Verlauf der Jahrhunderte stark gewandelt hat. Auch ist es erst einmal
nicht ganz dumm, in polemischer Absicht dessen Anhängern aus
scheinbar widersprüchlichen Erscheinungen einen Strick drehen zu
wollen. Für Tiefensee heißt das z.B., von "Antihumanismus"
zu reden, da heutige Humanisten den Menschen häufig eben nicht mehr
als das Maß aller Dinge verstehen.
Wenn
man aber eins und eins zusammenzählen kann, müsste einem eigentlich
auffallen, dass man einen Begriff, dem man gerade enormen Wandel
attestiert hat, vielleicht nicht ausgerechnet an seiner früheren
Bedeutung messen sollte. Auch wäre es eine Überlegung wert, ob der
evolutionäre Humanismus möglicherweise ein zeitgemäßes,
wissenschaftliches Menschenbild anstrebt, was die Selbstbezeichnung
irgendwie rechtfertigt.
2)
Militanter Atheismus
Ein weiteres Beispiel für Tiefensees Zwiespältigkeit bot seine Darstellung der Giordano-Bruno-Stiftung, die er offensichtlich nicht besonders mag. Wies er sonst ständig auf Vielfältigkeit und Komplexität hin, scherte er sich hier überhaupt nicht mehr darum und verallgemeinerte, wo es nur ging.
Selbstverständlich
durfte da auch der Vorwurf des "militanten Atheismus" nicht
fehlen. Abgesehen von der Unverschämtheit, auf diese Weise eine Nähe
zu Terrorgruppen oder prinzipiell Gewaltbereiten herzustellen, wird
einfach unterschlagen, dass genau dieser Streit um Polemik oder
Dialog einer der prägendsten innerhalb der gbs ist. Auch das hätte
Tiefensee, der immerhin schon einige Forschung zu
Konfessionslosigkeit betrieben hat, durchaus bemerken können.
3)
Religionsersatz – oder: Wir sind die Normalen.
Auch
Wissenschaft kann nicht völlig objektiv sein. Noch wichtiger als das
Bemühen um das inzwischen als solches begriffene Ideal ist also
zunächst, sich seiner eigenen Perspektive bewusst zu werden. Das
wird heute bereits den Ersties eingeimpft. Umso ernüchternder ist es
daher, wenn ein gestandener Professor das total in den Wind schlägt.
Zum
Ausdruck kam das u.a. in der Bezeichnung "Religionsersatz",
die Tiefensee auch nur einmal verwendete – womöglich, weil sie ihm
wirklich versehentlich rausgerutscht war. Religion gilt als
Normalzustand, gänzlich ungeachtet der – erinnern Sie sich, Herr
Professor? – Komplexität all dessen, was so bezeichnet wird, sowie
der Erscheinungen und Bedürfnisse, die ihr ihrerseits zugrunde
liegen. Ob die Anhänger dieser Ersatz-These auch meinen, das
Automobil sei ein Pferdeersatz?
Kaum
erwähnt werden muss wohl, dass daran anknüpfend nicht-religiöse
Weltbilder faktisch "reduktionistisch" seien. Das ist doch
wirklich nicht zu fassen. Gibt es ein besseres Beispiel für ein
relatives Urteil? Ich finde übrigens die christlichen
Weltvorstellungen verglichen mit beispielsweise den indischen
ebenfalls ausgesprochen reduktionistisch.
Das
Sahnehäubchen setzte Tiefensee dem ganzen auf, als er auf die Frage
eines Teilnehmers hin bekräftigte, die Aufklärung sei in der
christlichen Kultur bereits angelegt gewesen. Dazu wählte er auch
noch das denkbar hanebüchenste Argument: Bereits dadurch, dass vier
Evangelien vorliegen, sei Pluralität von Anfang an Bestandteil des
Christentums gewesen.
Die
Tatsache der Schlussfolgerung unbestritten, hätte zunächst
wenigstens noch ergänzt werden können, dass jene "Pluralität"
nicht selten darin zum Ausdruck kam, sich gegenseitig die Köpfe
einzuschlagen.
Allerdings
wird die Verbindung zur Anzahl der Werke im literarischen Kanon nicht
ganz klar: Die Muslime z.B. haben das mit der bewaffneten Pluralität
auch schon wenige Jahre nach dem Tode Mohammeds hinbekommen, und
dabei hatten die nur ein Buch! Auf der anderen Seite lohnt es sich,
einmal einen Blick auf die autoritativen Schriften des Hinduismus zu
werfen: Da kommt man auch auf mindestens vier – wenn man die
Stellen vor dem Komma zählt.
Hätte
er es bei der harmlosen Veranschaulichung belassen, wäre der Schaden
noch begrenzt gewesen. Zu allem Überfluss musste der Theologe aber
auch noch unmissverständlich festhalten: Wenn es eine Religion der
Vielfalt gebe, dann das Christentum. Und damit sind wir wieder um 100
Jahre zurückgeworfen, zum "Wer diese Religion nicht kennt,
kennt keine" eines Adolf von Harnack.
Diese
Schelte soll gar nicht so heftig sein, wie sie anmutet. Professor
Tiefensee ist seiner beschreibenden Aufgabe im Großen und Ganzen
angemessen nachgekommen. Auch wies er u.a. die Behauptung eines
Teilnehmers zurück, von Rationalismus und Szientismus gingen
Gefahren aus.
Es
ist ihm abzunehmen, dass er einen ernsthaften Dialog mit
Konfessionsfreien führen will. Gleichzeitig lauert in ihm immer noch
das Bild der wilden Atheisten, rechts und links und zwischen den
Zähnen mit einem Dolch bewaffnet und jederzeit bereit, die Welt mit
ihren so gar nicht ganzheitlichen Ansichten zu unterjochen.
Es
wäre zu wünschen, dass sich in Tiefensee und ähnlichen Gemütern
stattdessen das Bild der vielfältigen und (vor allem
selbst-)kritischen Humanisten, das ja offenkundig bereits
wahrgenommen wird, konsequent durchsetzt.
Gleichsam
dürfen wir uns immer wieder darin erinnern, dass es sich bei religiösen Menschen ebenfalls nicht um eine Herde blinder Schäfchen
handelt, die nie etwas anderes als die Bibel gelesen haben und den
ganzen Tag das Vaterunser aufsagen.
Schöner Artikel von Tom Bioly, der treffend das Verhalten vieler kirchlicher und theologischer Vertreter gegenüber jenen »gottlosen Gesellen« zum Ausdruck bringt, die leider mit dem Wort Gottes nichts mehr anfangen können.
AntwortenLöschenDa Theologie und Kirche den Argumenten von Religionskritikern, Humanisten, Atheisten so wenig Stichhaltiges entgegenzusetzen haben, besteht heute die Strategie darin, diesen Kritikern Niveaulosigkeit, ein reduktionistisches Gottesbild, fehlende theologische Sachkenntnis, unterkomplexe, plakative Antworten oder pauschal Aggressivität in der Auseinandersetzung vorzuwerfen. So wie es Tom Bioly auch schreibt. Erinnert sei daher an die Bestseller-Autoren Manfred Lütz oder Matthias Matussek mit ihren dürftig bis verleumderisch zu nennenden Auslassungen gegen Nichtgläubige. Auch die katholische Internetplattform »kreuz.net« hetzte jahrelang gegen Religions- und Kirchenkritiker in einer Art, wie man es sonst nur von politisch extremen Kreisen kennt. Man könnte diese Form der Auseinandersetzung durchaus »antihumanistisch« nennen.
Dawkins oder Schmidt-Salomon, um mal nur zwei prominente Vertreter zu nennen, wird von theologischer und kirchlicher Seite zu gern aggressives und polemisches Auftreten unterstellt. Tatsächlich sind es wohl deren wissenschaftlich fundierte und daher selten zu widerlegende, zugegeben manchmal sehr pointiert formulierte Ausführungen. Häufig ist es auch die Aufdeckung geheimer kirchlicher Vorgänge, die dann kirchlicherseits Gereiztheit und Empörung auslöst. Da religiösen und kirchlichen Vertretern oft entkräftende Argumente fehlen, unterstellen sie der Gegenseite stattdessen streitsüchtige Polemik und lehnen dann jede weitere Diskussion ab. (Erfahrungen, die ich in kirchlich-christlichen Blogs und Foren oft genug erleben musste.) Die unbestreitbare Leistung und der Grund des Erfolgs dieser beiden religionskritischen Vertreter besteht darin, dass sie Religions- und Kirchenkritik aus dem meist unzugänglichen und unverständlichen Milieu akademischer Kreise herausgeholt und sich in Sprache und Argumentation auf das angemessene Niveau an der Sache interessierter, aber nicht philosophisch und theologisch einschlägig ausgebildeter Menschen begeben haben. Mit anderen Worten: Immer mehr Menschen geraten in den Kreis der Aufgeklärten. Und das ist gut so. Schließlich ist Bildung nach wie vor der größte Feind der Religion. (www.uwelehnert.de)