Unser Mitstreiter Rimtautas
Dapschauskas stellt in seiner Rezension das aktuelle Buch des Vorstandssprechers der Giordano-Bruno-Stiftung vor:
Als ich den Titel des Buches mit den zwei Wölkchen auf dem
Cover das erste Mal las, so muss ich ehrlicherweise gestehen, war ich zunächst äußerst
skeptisch und erwartete im Prinzip eine ‒ im wahrsten Sinne des Wortes ‒ naive
Gutmenschenschnulze. Doch nach der Lektüre dieses Buches hat sich mein erster
Eindruck als völlig falsch herausgestellt. „Hoffnung Mensch“ ist das
bisher ausgereifteste, am breitesten angelegte und tiefgründigste Werk von Michael
Schmidt-Salomon.
Man bemerkt die Weiterentwicklung und Reifung des Autors
sowohl inhaltlich/philosophisch als auch in Bezug auf Duktus und Schreibstil
deutlich. Letztere erscheinen insgesamt sehr ausgewogen und ausbalanciert. Man
merkt, dass sich Schmidt-Salomon für sein Buch Zeit genommen hat und eine Weile
zurückgezogen in einem italienischen Bergdorf in Ruhe daran arbeiten konnte. Was
mir am besten an dem Buch gefallen hat, ist das breite Allgemeinwissen, welches
man im Kontext jeweils eines übergeordneten Themas peu à peu beim Lesen verabreicht
bekommt. Dabei sind die meisten Aussagen mit Fußnoten gut belegt und verweisen
auf zahlreiche vertiefende Literatur, was ich persönlich immer sehr
wertschätze. Es zeigt auf, dass der Autor aus einem Fundus einer breit
gefächerten wissenschaftlichen, historischen und philosophischen Lektüre
schöpft.
Schmidt-Salomon erzeugt in seiner Abhandlung einen gewissen Spannungsbogen:
Zuerst zeigt er auf eindringliche Art und Weise die Absurdität und
Ungerechtigkeit des Lebens auf, sowie die Unausweichlichkeit des absoluten
Todes ‒ sowohl des einzelnen Individuums, als auch der gesamten Menschheit als
solcher und auch aller Erinnerungen von dieser und an diese. Danach fängt er
den Leser aber geschickt am tiefsten Tiefpunkt wieder auf und nimmt ihn
sozusagen Stück für Stück wieder nach oben mit und zeigt die vielen positiven
Errungenschaften, das Wissen und den Fortschritt der Menschheit auf, die wir im
Laufe der Jahrtausende bis zum 21. Jahrhundert erreicht haben. Dabei
streift er so vielfältige Bereiche wie die Wissenschaftsgeschichte, hier vor
allem die Evolutionsbiologie, Physik, Kosmologie, die Neurowissenschaften und
die Philosophie des Geistes, aber auch solche Bereiche wie Erfindungen und Technologien,
Medizin, Ethik und Kunst (hier v.a. Musik) werden ausführlich behandelt. Ein besonders
großes Augenmerk erhält dabei die Geistesgeschichte des Humanismus, der
Menschenrechte und der Philosophie von den Anfängen in der Antike über die Renaissance,
die Französische Revolution und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung bis hin
zur Gründung der UNO im 20. Jahrhundert. All seinen Ausführungen liegt dabei
ein naturalistischer, wissenschaftlich fundierter Blick auf den Menschen und
seine Welt zugrunde, was bis zu den Überlegungen über eine säkulare, intellektuell
redliche Spiritualität reicht. Keineswegs nimmt Schmidt-Salomon dabei einen naiven
Fortschrittsautomatismus an, sondern zeigt vielmehr auf, dass Fortschritt sich
nicht zwangsläufig einstellt, sondern dass es auch immer wieder zahlreiche
Rückschläge in der kulturellen Evolution gab, wie z.B. den Untergang des
Römischen Reiches und anderer antiker Hochkulturen. Unter Rückgriff auf seine
eigene Doktorarbeit aus dem Jahr 1999 („Erkenntnis aus Engagement:
Grundlegungen zu einer Theorie der Neomoderne“) har er stets auch die
zahlreichen schwerwiegenden Probleme und Defizite der Menschheit im Blick: Die
ökologische Zerstörung, die ökonomischen Fehlentwicklungen, Demokratiedefizite,
Korruption und Kriminalität, kriegerische Auseinandersetzungen, Gruppenideologien,
Armut und soziale Ungerechtigkeit, Krankheiten und Seuchen,
Bevölkerungswachstum sowie unzulängliche Bildungssysteme. Für viele dieser
Bereiche streift Schmidt-Salomon zumindest einige interessante und vernünftige
Lösungsvorschläge, wie die Entwicklung eines rationalen Finanz- und
Wirtschaftsystems, das Cradle-to-Cradle-Prinzip, die Entwicklung intelligenter
Technologien und vor allem die Entwicklung einer transkulturellen,
humanistischen Perspektive, die eine Zurückdrängung des Kulturrelativismus beinhaltet.
Schmidt-Salomon war in den letzten Jahren vor allem wegen
seiner dezidiert vorgetragenen Religionskritik bekannt. Diese schimmert in
„Hoffnung Mensch“ zwar auch in vielen Passagen durch, wird von ihm aber nur
dezent eingestreut und ist stets im Kontext des gerade behandelten, übergeordneten
Themas eingebettet. Ein Leitmotiv im Buch ist die immer wieder auftauchende
Kritik am moralischen Dualismus: Die Beschränkung der Empathie und des Altruismus
auf die eigene familiäre, soziale, religiöse, nationale, geschlechtliche,
biologische oder politische Gruppe, also die Unterscheidung zwischen
Individuen, die zur Ingroup gehören, denen man höchst altruistisch begegnet und
solchen, die nicht dazu gehören, die also zur Outgroup gehören und im
Konfliktfall mit großer Regelmäßigkeit in der Menschheitsgeschichte
dehumanisiert und brutal bekämpft wurden und werden. Nicht umsonst waren
Nächstenliebe und Fernstenhass stets auf unheilvolle Art und Weise miteinander
verknüpft. Schmidt-Salomon führt dies auf unser evolutionäres Erbe zurück, dem
wir aber nicht zwangsläufig auf ewig verhaftet sein müssen, weil – wie er
belegen kann – ethische Fortschritte möglich waren und sind.
Sein Werk ist dabei mit vielen kleinen Weisheiten gespickt,
bei denen man denkt: „Wunderbar, das trifft es genau!“ Ein paar geistig geile Beispiele
gefällig?
Dass der Mensch zugleich das empathischste als auch das grausamste
Wesen auf diesem Planeten ist, stellt also keinen Widerspruch dar. Im
Gegenteil: Empathie und Grausamkeit sind oftmals auf unheilsame Weise miteinander
verknüpft. Denn gerade das besondere Mitgefühl gegenüber Mitgliedern der
eigenen Gruppe hat immer wieder zu grausamer Gewalt gegenüber Mitgliedern
anderer Gruppen geführt. So reichte mitunter die (empathisch geteilte)
Beleidigung eines einzelnen Gruppenmitglieds aus,
um kollektive Blutfehden zu starten, die über Jahrzehnte hinweg unzählige Opfer
forderten. Überblickt man die menschliche Geschichte, fällt hier ein
Zusammenhang auf, der bis in die jüngste Vergangenheit hinein zu beobachten war
und auf den in Deutschland vor allem der in Gießen lehrende Soziobiologe Eckart
Voland hingewiesen hat: „Je empathischer, kooperativer und altruistischer
Gruppen nach innen hin strukturiert sind, desto militanter, feindseliger und
grausamer treten sie in der Regel nach außen auf.“
Nicht der technologische Fortschritt ist das Problem, sondern die
Tatsache, dass wir ihm in ethisch-politischer Hinsicht noch immer so weit
hinterherhinken. [..] Mit dem Smartphone in der Hand und der Bronzezeit im Kopf
kommen wir nicht weiter! Wir brauchen zeitgemäße Ideen, die darauf angelegt
sind, sich kontinuierlich weiterentwickeln zu lassen – keine unverrückbaren
Dogmen, die gerade deshalb so gerne als „heilig“ und „unfehlbar“ deklariert
werden, weil sie keiner kritischen Prüfung standhalten.
Im Anschluss an den deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) meinen
viele, dass der wissenschaftliche Rationalisierungsprozess die Welt entzaubert
habe, doch das ist nur die halbe Wahrheit: Denn bei genauerer Betrachtung hat
die Wissenschaft nur den falschen Zauber – den Glauben an magische Kräfte, an
menschenähnliche Götter und Dämonen etc. – entkräftet. Im Gegenzug jedoch legte
sie einen sehr viel tieferen Zauber frei – nämlich die unendlichen Dimensionen
eines Universums, das um ein Vielfaches geheimnisvoller, mystischer ist, als es
sich sämtliche Religionsstifter haben vorstellen können.
Da sie für die Einhaltung universalistischer Werte (etwa der
Allgemeinen Menschenrechte) eintreten, werden Universalistinnen wie Kelek und
Ahadi häufig als „Kulturimperialistinnen“, ja sogar als „Kulturrassistinnen“, beschimpft.
Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass „der Westen“ eigene Wertestandards
entwickelt hätte, die man „fremden Kulturen“ nicht aufzwingen dürfe. Jedoch
genügt schon ein kurzer Blick in die Geschichte um dieses Argument, das gerade
auch in der Auseinandersetzung mit „dem Islam“ bemüht wird, zu entkräften: Vor
1000 Jahren beispielsweise hätte man in Bezug auf die Gewährung grundlegender
Rechte wie der Meinungs-, Kunst- und Forschungsfreiheit sehr viel eher von
östlichen als von westlichen Werten sprechen müssen. Denn diese Werte waren in
muslimisch geprägten Regionen nachweislich sehr viel stärker beheimatet als im
christlichen Europa. Es ist eben nicht wahr, dass Humanismus und Aufklärung,
Menschenrechte und Demokratie exklusive Kulturgüter des Westens sind – sie sind
vielmehr elementare Bestandteile eines Weltkulturerbes der Menschheit, an dem
Menschen aller Kontinente und aller Zeiten mitgewirkt haben (ich erinnere hier
nur an die 2500 Jahre alten Antikriegsschriften des chinesischen Philosophen
Mo-Ti).
Ich will es an dieser Stelle mit Zitaten bewenden lassen,
sonst schreibe ich vor Enthusiasmus noch das halbe Buch ab. Das Buch ist wahrlich
interdisziplinär und im besten Sinne populärwissenschaftlich angelegt, d.h.
allgemeinverständlich geschrieben – aber dennoch seriös und präzise. Es kann
eigentlich jedem geschichtlich, philosophisch und wissenschaftlich interessierten
Menschen sehr empfohlen werden, auch Leuten, die nichts mit dezidierter
Religionskritik zu tun haben. Es hat zumindest mir als chronischem Pessimisten
mit plausiblen rationalen Argumenten und empirischen Daten aufgezeigt, dass
Fortschritt keine reine Illusion des industrialisierten naiven modernen
Westlers ist, sondern dass in der Tat, trotz aller Probleme der Gegenwart, in
vielen Bereichen – und nicht nur in Europa – so etwas wie Fortschritt beobachtet
werden kann, den man jedoch erst wahrnimmt, wenn man die Longue durée, also längere geschichtliche Zeiträume, in den Blick
nimmt. Der einzige wirklich schnulzige Wermutstropfen stellt das persönliche
Credo an die Menschheit in Gestalt eines Gedichtes am Ende des Buches dar. Aber
über diese aus geschmacklich/ästhetischer Sicht durchaus diskutierbaren
Abschlussferse kann man getrost hinwegblicken (ich meine: so schlimm sind sie nun
auch wieder nicht), betrachtet man den natur- und kulturwissenschaftlichen Tiefgang,
die breitgefächerte Allgemeinbildung, die Liebe zu einigen schönen Details (Musik)
und die philosophischen Bonmots, welche Schmidt-Salomon in „Hoffnung Mensch“
auszubreiten vermag.
Zur Stärkung der säkularen Szene empfehlen wir wie immer den Erwerb des Buches über den Alibri-Verlag, der mit seinen Gewinnen des Öfteren auch die Kampagnen der gbs unterstützt.
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