Foto: Martin Hauswald |
Am
vergangenen Mittwoch setzte Prof. Dr. Tilman Seidensticker,
Islamwissenschaftler der Uni Jena, einen eindrucksvollen Schlusspunkt
unter unsere öffentlichen Veranstaltungen in diesem Semester.
Anschaulich und wohl strukturiert warf er aus islamwissenschaftlicher
Perspektive einen Blick auf Möglichkeiten und Defizite der Kritik am
Islam.
Auch der
letzte Vortrag des Semesters war gut besucht. Die meisten der über
30 Gäste kamen diesmal aus der Orientalistik. Nicht nur sie dürften
sich ein wenig gewundert haben, dass Seidensticker seine Ausführungen
zunächst mit dem "permanent überforderten
Islamwissenschaftler" begann.
Doch führte dieser Einstieg über
die Fachgeschichte sinnvoll zum eigentlichen Thema des Abends hin:
Zwar sei es unbestreitbar die eigentliche Aufgabe eines
Wissenschaftlers, zu beschreiben und zu erklären. Doch führe gerade
das in der Islamwissenschaft häufig dazu, dass um "unbequeme"
Themen, bei denen es etwas zu kritisieren gäbe, ein Bogen gemacht
werde oder sie gar beschönigt werden.
Seidensticker
machte an diesem Abend keinen Bogen, sondern unterschied zwischen
angebrachter und unangebrachter Kritik.
Letztere weise
nach seiner Erfahrung Defizite in drei wesentlichen Kategorien auf.
Auf der
Faktenebene begegne ihm am häufigsten die Behauptung "X
steht doch im Koran!" Dabei kann es sein, dass a) das wie im
Falle der Beschneidung schlicht nicht stimmt, b) wie im Falle des
Umgangs mit anderen Religionen nebenher auch noch zahlreiche, zum
Teil widersprüchliche andere Aussagen zu finden sind oder c) es wie
im Falle des Hand-Abhackens für Diebstahl zwar richtig ist, jedoch
in der Realität kaum praktiziert wird.
Ähnlich sieht
es mit der Unterstellung, X stehe "in
der Scharia" aus. Zum einen wurde diese nämlich bisher nicht
verbindlich kodifiziert – "die Scharia" gibt es also
tatsächlich überhaupt nicht. Zum anderen werden auch weitgehend
einvernehmliche Ansichten der islamischen Jurisprudenz in einigen
Fällen, z.B. der Steinigung von Ehebrechern, mehrheitlich nicht
praktisch angewandt.
Eine
zweite Kategorie bilde die Verallgemeinerung.
Ursachen sieht Seidensticker hier erstens auf Seiten der Medien, die
verständlicherweise nicht umher kämen, über Katastrophen statt
über friedlichen Alltag zu berichten. Aber auch die
Islamwissenschaft müsse sich das Missverständnis, "Islam"
sei im Wesentlichen, was im Koran stünde, zu gewissen Teilen auf die
eigene Fahne schreiben.
Ein
letztes Hauptproblem seien die verzerrten Maßstäbe,
die an die islamische Welt angelegt würden. "Terroristen zählen
anders", so brachte der Islamwissenschaftler es auf den Punkt,
wenn beispielsweise angesichts der Opfer von 9/11 die der Invasionen
in islamische Länder völlig aus dem Blick gerieten.
Man
kann bis hierhin zusammenfassen: Der grundlegender Fehler der
Islamkritik ist es, den
Islam
zu kritisieren. In diesem Sinne rät Seidensticker, Kritik auf
Strömungen und Personen zu konzentrieren.
Denn
Anlass und Notwendigkeit dazu gebe es freilich genug. Punkte wie
Meinungs- und Religionsfreiheit oder Frauenrechte seien schlichtweg
indiskutabel. Zum Ziel führe dies jedoch nur, wenn sich Engagement
an konkreten
Menschen
orientiert und nicht einem theoretischen Islam "alles in die
Schuhe schieben" will.
Unterscheiden
müsse man überdies dahingehend, ob sich Kritik gegen Gruppierungen
in der Heimat oder Situationen im Ausland richte. Während er zwar
betonte, dass zweiteres grundsätzlich schwieriger sei, lobte er auch
den für ihn durchaus überraschenden Erfolg
Rüdiger Nehbergs gegen die Verstümmelung weiblicher Genitalien
in islamischen Regionen.
Am
Ende seines Vortrags ging Seidensticker auf die Studie
"Muslime in Deutschland" des BMI
ein, wonach u.a. rund 5% der befragten Muslime hierzulande angaben,
sie hielten Gewalt zur Durchsetzung des Islams für gerechtfertigt.
Genau
diese 5% seien es also, die im Zentrum der Kritik und
gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeit stehen müssten. Im Zuge der
anschließenden Diskussion betonte Seidensticker jedoch, er sei kein
"Sozialarbeiter". Diese sowie Kriminologen seien hier vor
allem gefordert. Er selbst könne nur die grundlegende
Aufklärungsarbeit
leisten.
Neben
den zu erwartenden Abschweifungen im Gespräch nach dem Vortrag ging
er noch kurz auf Stimmen wie solche des zur Zeit bedeutendsten
deutschen Anti-Islam-Portals, Politically
Incorrect,
ein. Hierin sieht er vor allem innenpolitische Stimmungsmache, die an
den Kritisierten selbst, den Muslimen, völlig vorbeigehe. Ihm fiele
keine vernünftige Möglichkeit ein, mit solch mitunter feindseligen
Gesinnungen fruchtbar umzugehen.
Unsere
persönliche Aufgabe als Ergebnis dieses Abends heißt daher
schließlich erneut: Aufklärung,
Aufklärung, Aufklärung.
Die entscheidende Herausforderung für uns besteht darin, zu einem
sachgemäßen Bild islamischer Lebenswirklichkeit zu gelangen. Dafür
müssen wir in dem Wust zwischen Verteufelungen
und Beschönigungen
kritisch um angemessene Informationen ringen.
Unser Gegenüber ist nicht der Islam – sondern das sind Muslime.
Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.
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