Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des Kommentars (1.
August 2012) studierte der Autor Steve Kennedy Henkel an der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Evangelische Theologie und er engagierte
sich als Jugenddelegierter in der Synode der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD), dem Kirchenparlament der Evangelischen Kirche.
Der Autor meint, es störe in der Debatte niemanden, dass es
auch beschnittene Erwachsene gebe, die sich weder als „versehrt“ noch als
„verstümmelt“ betrachten würden. Angemessener ist es jedoch, zu unterstreichen,
dass vor dem Ausbruch der Debatte sich kaum jemand daran störte, dass im Namen
eines archaischen Rituals Kinder einen erheblichen Eingriff in ihre körperliche
Unversehrtheit hinnehmen mussten und niemand nach dessen Opfern fragte.
Ein Verbot durch den Gesetzgeber tut Kennedy Henkel als
Paternalismus ab – die Schutzpflicht des Staates gegenüber den Kindern wird
hingegen nicht einmal erwähnt. Dies ist umso scheinheiliger, als sich auch die
Kirchen im Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte gerne auf diese berufen und
dabei im Grunde nichts anderes als einen staatlichen Paternalismus fordern.
Die Ausführungen von Kennedy Henkel im Abschnitt „Abwegiges am Rande...“ sind zwar zutreffend – denn tatsächlich kann man sich auch nach einer Beschneidung noch von einer Religion abwenden. Dies reißt aber auch nicht die tragenden argumentativen Pfeiler der Beschneidungsgegner ein, sondern lediglich unterstützend angeführte Argumente, denn der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Menschen lässt sich gerade nicht ungeschehen machen. Darüber hinaus drängt sich beim Lesen auch der Gedanke auf: Wenn beschnittene Gläubige die Möglichkeit haben, sich dennoch später von ihrer Religion zu lösen – sollten dann nicht auch die Unbeschnittenen selbst (und nicht deren Eltern!) darüber entscheiden, ob sie bereit sind, die Beschneidung über sich ergehen zu lassen, um von ihrer Glaubensgemeinschaft aufgenommen zu werden? Anders formuliert: „Unter dem Regime des Grundgesetzes ist es nicht nachvollziehbar, dass man mit diesem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht bis zum Eintritt der Mündigkeit warten kann, um dann das mündige Individuum je selbst entscheiden zu lassen, ob und auf welche Weise es sich dem Eingriff unterziehen will oder nicht.“ (Jerouschek, NStZ 2008, 313, 319, Beschneidung und das deutsche Recht – Historische, medizinische, psychologische und juristische Aspekte).
Kennedy
Henkel fragt „Sind jüdische Eltern nicht aufgeklärt genug?“ – die Antwort
lautet „Ja!“ Viele der Eltern wissen gar nicht, welches Leid sie
ihren Kindern zuführen und welche psychischen Auswirkungen das Ritual häufig
hat. „In der medizinischen Fachsprache handelt es sich bei der Beschneidung,
gleichviel, ob sie religiöser oder säkularer Natur ist, um ein Trauma, dessen
Zufügung einer Rechtfertigung bedarf. […] Dies gilt umso mehr, als sie auch aus
psychotraumatologischer Perspektive keineswegs einem Bagatelleingriff
gleichkommt und überdies auch Anhaltspunkte dafür greifbar sind, dass auch das
psychische Folgenrisiko keineswegs zu vernachlässigen ist. Auch wenn die
Forschung hierzu erst in den Anfängen steckt, kann man bereits jetzt sagen, dass die von der modernen
Psychotraumatologie an ein pathogen wirkendes Trauma anzulegenden Kriterien
allesamt erfüllt sind: Die schutzlose Preisgabe an bedrohliche Umweltfaktoren,
die auf der Erlebensseite mit einer basalen Hilflosigkeit einhergeht; ein beziehungstraumatischer Aspekt, da
die Verletzung den Eltern zuzurechnen ist; je nach Alter des Circumcidenden ein Kindheitstrauma; da die
Beschneidung am Penis als Sexualorgan vorgenommen wird, zugleich ein Sexualtrauma.“ (a.a.O., S. 316)
Rhetorisch geschickt fragt Kennedy Henkel: „Sind muslimische Eltern Sadisten? […] Oder sind sie nicht vielmehr der Meinung, mit ihrer Entscheidung ihren Söhnen etwas Gutes [zu] tun, nämlich sie hinein zu nehmen in den Bund mit Gott?“ Natürlich sind muslimische bzw. jüdische Eltern keine Sadisten, da sie die Befriedigung nicht aus dem Leid-zufügen an sich schöpfen, sondern aus dem Gefühl, ihrem Glauben entsprechend zu handeln. Dies verdeckt aber nur die Frage, ob jene religiöse Überzeugung es zu rechtfertigen vermag, einen solchen gravierenden Eingriff einem wehrlosen Kind zuzumuten. Geht man – wie ich gerade eben – bei der Frage von der Möglichkeit schwerwiegender Konsequenzen aus, so bedeutet die Frage zu stellen, sie auch zu verneinen. Dies muss angesichts der leichten Verfügbarkeit entsprechender medizinischer und psychologischer Nachweise (siehe oben) auch Kennedy Henkel wissen und daher bedient er sich des einzigen rednerischen Mittels, das ihm noch bleibt: der Verleugnung. Unter Ausblendung zahlreicher Expertenaussagen spricht er davon, dass es sich nur um einen „kleinen Eingriff“ handle. Dessen Folgen bagatellisiert er so sehr, dass die elterliche Entscheidung darüber, wie oft ein Kind Fastfood verzehre, angeblich „viel mehr Leiden“ zufüge als eine Beschneidung. Am Ende ist es damit der Autor selbst, der – wie von ihm am Schluss angemahnt – vor „einfachen Stereotypen“ nicht gefeit war. Wir wünschen dem Welttag der genitalen Selbstbestimmung daher viel Erfolg!
Maximilian Steinhaus
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