Montag, 18. Juni 2012

"Wie frei ist der Christ in der Politik"


fragte die amtierende Ministerpräsidentin Thüringens Christine Lieberknecht am 12. Juni im Rahmen ihres Vortrags auf Anfrage des Fördervereins der Theologischen Fakultät der Uni Jena hin.  Damit platzierte sie sich in eine Abfolge von Politikern und Theologen, die nach Einladung desselben Vereins zu aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen Stellung beziehen sollten.

Die Referentin begann ihre Ausführungen mit dem Versuch einer grundlegenden Wesensbestimmung des Freiheitsbegriffes beginnend mit der rühmenden Erwähnung Friedrich Schillers als Dichter und Denker freiheitlicher Ideale. Veranschaulichen konnte Frau Lieberknecht ihre Vorstellung von der Beziehung der Politik zur Freiheit mit den Worten Hannah Arendts: „Der Sinn der Politik ist Freiheit“. Eine enge Verknüpfung sieht die CDU-Politikerin zwischen der Freiheit und der Würde des Menschen, was nicht zuletzt im Artikel 1 des Grundgesetztes honoriert würde. Die daraus ableitbare sich bedingende Wechselseitigkeit von Freiheit und Würde veranschaulichte die Ministerpräsidentin am „Mythos von Sisyphos“, bekannt geworden durch den algerisch-französischen Existenzialisten Albert Camus. Der Kern unserer Freiheit liege in der Bewahrung unserer Würde. Würdelosigkeit wäre immer auch Unfreiheit. Als ehemalige DDR-Bürgerin und Studentin in Jena erhalten ihre Ausführungen zur Freiheit/Unfreiheit eine zusätzliche Note eigener Betroffenheit.


Nachdem Frau Lieberknecht Freiheit und Würde zu ihren zentralen Punkten erhoben hat, widmete sie sich darauf folgend unserer Gegenwart. Ihren Beobachtungen zufolge leben wir in einer Zeit, die geistig gesehen in großer Distanz zu den beschworenen Freiheitsidealen stehe. Gewinnmaximierung und kompromisslose Luststeigerung seien materialistische Ausdrücke eines pervertierten Freiheitsbegriffs. Allerdings sehe sie heilsame Anzeichen in Politik und Gesellschaft, die sie in einer „neuen Nachdenklichkeit“ zu erkennen vermag. Die Anschläge auf das World Trade Center 2001 ließen sich zeitlich als Beginn dieser geistigen Umkehr festmachen. Durch die Finanz-und Wirtschaftskrise würde diese Nachdenklichkeit weiterhin befördert. Die besorgniserregenden Störfälle der Reaktoren in Fukushima, Japan, fanden ebenfalls Erwähnung. Kennzeichnendes Merkmal dieses langsamen aber stetigen geistigen Umbruchs sei das Infragestellen bisheriger Gewissheiten (z.B. nach Blüm, die Renten seien sicher). Unabdingbare Voraussetzung für das Regierungshandeln im Lichte dieser neuen Nachdenklichkeit seien gefestigte Wertegerüste. Ihrer Meinung nach würden religiöse (christliche) Wurzeln am sichersten für die benötigte Festigung sorgen können. Mit den drei Vs: "Verantwortung, Verlässlichkeit und Vertrauen" seien die Maßstäbe für sie als Christin am deutlichsten umschrieben. Große Inspiration erhält sie aus den Schriften Martin Luthers, der „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ spricht.

Zwischenvermerk: In Anbetracht Luthers paranoiden Hexenwahns, seiner abstoßenden Haltung zu behinderten Menschen und seines fanatischen Judenhasses lässt sich meiner Meinung nach die Beanspruchung Martin Luthers als christlichen Freiheitsdenker eines wirklich globalen und übergreifenden Freiheitsbegriffes (und nur darauf kommt es an !) nicht mehr aufrechterhalten. Es ist mehr als evident, dass Luther unter der Freiheit eines Christenmenschen eben nur jene Freiheit eines Christenmenschen nach Luthers ganz eigener Vorstellung verstanden hat. In seinen Überlegungen war nie die Rede vom Prinzip eines würdevollen Umgangs mit Anders-oder Nichtgläubigen, siehe auch http://hpd.de/node/13504 über die Rolle des geistigen Erbes Luthers im Nationalsozialismus.

Zurück zum Vortrag der studierten Theologin Lieberknecht. Die innere Freiheit, die ein Christ durch seinen Glauben erlange,  sei die Basis für sein Handeln im Alltag gleichermaßen wie in der Politik. Die innere Identifikation durch den Glauben verhindere die Versuchung fehlende Identität durch Insignien des Kapitalismus auszugleichen, die doch in Wirklichkeit nur Zeugnis davon abgäben wie ungefestigt das innere Rüstzeug gegenüber verfehlten Freiheitsvorstellungen sei. Nach Lieberknecht ermögliche der Glaube, Politik zu gestalten. So tritt sie unter Betonung der Menschenwürde auch für die Freiheit ein eine Schullandschaft zu gestalten, in denen Schulen in freier Trägerschaft ermöglicht  und gefördert werden können, auf dass unsere Bildungslandschaft pluralistischer werde. Hier würde ich gerne erneut Kritik an ihrer Position üben wollen. Das Ziel der Bildung sollte meiner Ansicht nach nicht Pluralität sein im Sinne des Überlassens der Lerninhalte an etwaige Träger, die der staatlichen Kontrolle wenig zugänglich sind. Mit der freien Trägerschaft sehe ich eine reale Gefahr, dass Schulen als staatliche Institutionen mit Glaubensinhalten, z.B. über Kooperationen mit Gemeinden und Kirchen überschwemmt werden, die wir gerade, zumindest in weltanschaulich neutralen Orten wie der Schule, zu verhindern versuchen. Mag sein, dass sie aus christlicher Sicht und unter Wertschätzung ihrer „inneren Freiheit“ andere daran teilhaben lassen möchte, doch aus ihrer Freiheit kann ohne weiteres auch eine Bevormundung und Unfreiheit des Schülers resultieren. Weitere Ausführungen folgten, in denen sich Lieberknecht als politisch aktive Christin gestärkt fühlt mitzugestalten. Nachhaltigkeit und die Stärkung der Bürgergesellschaft sind exemplarisch herausgegriffen worden. Da mir dieser Teil ihres Vortrags nicht ganz einleuchtete, vermute ich für das zweite Beispiel, dass durch das freie Individuum als kleinste Struktureinheit unserer Gesellschaft und über die Betonung seiner Freiheit, Unfreiheit durch das Diktat komplexerer und größerer Struktureinheiten, z.B. die Regierung (?) vorgebeugt wird, was die Stärkung der Bürgergesellschaft bedeutet.

Herausgefordert werden konnten ihre Vorstellungen allerdings noch im Anschluss des Vortrags durch Fragen des Publikums. So wurde gefragt wie sich das Wachstumsmantra der CDU mit dem Nachhaltigkeitsgedanken der Ministerpräsidentin verträgt. Die Antwort blieb kurz und kulminierte in der Annahme, dass sich Wachstum und Nachhaltigkeit nicht auszuschließen hätten und damit kein Widerspruch offenliege, der aufgelöst werden müsste. Das Thema der Menschenwürde konnte durch die Frage eines Zuschauers aufgegriffen werden, der den würdelosen Umgang mit dem griechischen Volk durch Politik und Gesellschaft anmahnte und damit wohl Lieberknecht eine persönliche Stellungnahme abverlangen wollte. Die ausgebildete Theologin bezeugte Solidarität mit dem griechischen Volk und war nicht müde zu erwähnen, dass ihre eigene Kritik am Fehlverhalten deutscher politischer Akteure harsch angefeindet wurde. Eine andere Frage war vielmehr der eigene Wunsch nach der Vergewisserung, ob Lieberknechts Vortrag verstanden wurde. So hat der Fragesteller die innere Freiheit eines Gläubigen auch als äußere Freiheit in der Politik deuten wollen und konnte Bestätigung von der Vortragenden erhalten. Zugegebenermaßen hatte ich selbst einige Male Schwierigkeiten das Thema des Abends in ihren Ausführungen zu erkennen. Ob dies an ihrem Vortrag oder an mir liegt, bleibt offen. Auf die Frage hin, warum sie der CDU beigetreten sei, erzählte Lieberknecht vom Umfeld ihres damaligen Gemeindepfarramts, in dem die Kirchenältesten mehrheitlich CDU-Anhänger waren, worin sich auch ihre eigene Parteimitgliedschaft bei der CDU begründet. Ein anderer interessierter Zuhörer wollte in Erfahrung bringen welche Gebete sie zurzeit im Parlament gen Himmel richtet, woraufhin sie ein wenig irritiert zu sein schien. Das „Vater-unser“ und das freie Gebet verriet sie, darauf käme sie desöfteren zurück. Auf meine Frage hin wie sich die Freiheit eines Christenmenschen, formuliert durch Luther und die Rede von der Würde des Menschen mit den Äußerungen von Bischof Overbeck verträgt, der nichtgläubigen Menschen erst kürzlich in der Position als Militärbischof und Vertreter der christlichen Seelsorge der Bundeswehr das Menschsein abgesprochen hat, konnte ich keinen direkten Bezug ihrer Antwort auf meine Frage erkennen, außer dass abermals von Würde gesprochen wurde und das „Miteinander reden auf Augenhöhe“ beschworen wurde. Letzteres lässt sich allerdings nicht ansatzweise im Verhalten von Herrn Overbeck erkennen. Natürlich muss sie nicht Stellung zum Verhalten anderer Menschen beziehen, doch wie authentisch lässt sich die viel besungene Menschenwürde vertreten, wenn Christen heute noch die Würde von Homosexuellen, Nichtgläubigen, Geschiedenen und vielen mehr regelmäßig mit Füßen treten.

In meiner Schlussbemerkung muss ich hervorheben, dass nach Lieberknechts Auffassung der Christ in der Politik frei sei, weil er die Würde des Menschen betont. Sie hat sich neben tendenziösen Bibelstellen immer und immer wieder auf das Grundgesetz bezogen, was die Frage erlaubt warum ein Glaube als Argument notwendig wird, der einem angeblich die Wahrung der Menschenwürde abverlangt, wenn diese Würde explizit und unmissverständlich auch staatlich verbrieft wird. Ich komme nicht umhin einen Vergleich zu wählen, der sich auf erlaubte Sharia-Gerichte in Großbritannien bezieht, die gültiges Gesetz nicht (!) brechen. Der Autor des entsprechenden Artikels fragte hinsichtlich ihrer Akzeptanz durch die Regierung, warum sie denn als solche überhaupt notwendig seien, wenn das Gesetz im Einklang mit ihnen sei? Genauso verhält es sich mit dem christlichen Glauben und der Menschenwürde. Wenn zur Unterlegung Lieberknechts Punkte das Grundgesetz herhalten muss, wo bleibt dann der exklusive Anspruch der Christen auf die unantastbare Menschenwürde? Die Deutung des Begriffes ist längst nicht mehr das Monopol des Christentums. 

gbs
Thomas Gantert

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