Donnerstag, 28. Februar 2013

Sie können's nicht lassen

Prof. Eberhard Tiefensee
Foto: Uni Erfurt
Am Freitag, dem 22.02. war Eberhard Tiefensee, Katholischer Theologe und Bruder des ehemaligen Bundesverkehrsministers, an der Uni Jena als Redner zu Gast. Den Rahmen dafür bildete eine Tagung der Theologischen Fakultät zum Thema Konfessionslosigkeit.
Tiefensees Beitrag zur "Suche von angemessenen theologischen Verstehenskategorien zu diesem komplexen Phänomen" bestand in einem öffentlichen Vortrag mit dem Titel: "Der 'selbstgenügsame Humanismus' zwischen Naturalismus und Christentum: Ein Positionierungsversuch im Kontext der Konfessionslosigkeit".


Sowohl die Veranstalter im Vorfeld als auch der Referent während seines Vortrags haben sich nach Kräften bemüht, den Verdacht auszuräumen, das ganze wäre mit Missionierungs-Absichten verbunden. Das ist in der Theorie löblich und zumindest Tiefensee, den ich als einzigen beurteilen kann, hat sich auch daran gehalten. Dabei hätte er es nicht einmal so sehr betonen müssen; außer den Tagungsteilnehmern waren nämlich kaum mehr als zehn Leute gekommen.

Zum gesamten Gedankengang seiner Ausführungen muss gar nicht so viel gesagt werden. Vor allem beschrieb er verschiedene Ausprägungen von Konfessionslosgkeit, und das aus meiner Sicht ganz ordentlich.
Wahrscheinlich ist er selbst überzeugt, sich durchgehend wertungsfrei geäußert zu haben. An einigen Stellen brach sie dann aber doch wieder durch: die alte Leier. Phrasen, Vorurteile, Voreingenommenheiten. Die haarsträubendsten lassen wir uns an dieser Stelle auf der Zunge zergehen:

1) Antihumanismus

Es ist ja erst einmal richtig, dass sich der Begriff Humanismus im Verlauf der Jahrhunderte stark gewandelt hat. Auch ist es erst einmal nicht ganz dumm, in polemischer Absicht dessen Anhängern aus scheinbar widersprüchlichen Erscheinungen einen Strick drehen zu wollen. Für Tiefensee heißt das z.B., von "Antihumanismus" zu reden, da heutige Humanisten den Menschen häufig eben nicht mehr als das Maß aller Dinge verstehen.
Wenn man aber eins und eins zusammenzählen kann, müsste einem eigentlich auffallen, dass man einen Begriff, dem man gerade enormen Wandel attestiert hat, vielleicht nicht ausgerechnet an seiner früheren Bedeutung messen sollte. Auch wäre es eine Überlegung wert, ob der evolutionäre Humanismus möglicherweise ein zeitgemäßes, wissenschaftliches Menschenbild anstrebt, was die Selbstbezeichnung irgendwie rechtfertigt.

2) Militanter Atheismus

Ein weiteres Beispiel für Tiefensees Zwiespältigkeit bot seine Darstellung der Giordano-Bruno-Stiftung, die er offensichtlich nicht besonders mag. Wies er sonst ständig auf Vielfältigkeit und Komplexität hin, scherte er sich hier überhaupt nicht mehr darum und verallgemeinerte, wo es nur ging.
Selbstverständlich durfte da auch der Vorwurf des "militanten Atheismus" nicht fehlen. Abgesehen von der Unverschämtheit, auf diese Weise eine Nähe zu Terrorgruppen oder prinzipiell Gewaltbereiten herzustellen, wird einfach unterschlagen, dass genau dieser Streit um Polemik oder Dialog einer der prägendsten innerhalb der gbs ist. Auch das hätte Tiefensee, der immerhin schon einige Forschung zu Konfessionslosigkeit betrieben hat, durchaus bemerken können.

3) Religionsersatz – oder: Wir sind die Normalen.

Auch Wissenschaft kann nicht völlig objektiv sein. Noch wichtiger als das Bemühen um das inzwischen als solches begriffene Ideal ist also zunächst, sich seiner eigenen Perspektive bewusst zu werden. Das wird heute bereits den Ersties eingeimpft. Umso ernüchternder ist es daher, wenn ein gestandener Professor das total in den Wind schlägt.
Zum Ausdruck kam das u.a. in der Bezeichnung "Religionsersatz", die Tiefensee auch nur einmal verwendete – womöglich, weil sie ihm wirklich versehentlich rausgerutscht war. Religion gilt als Normalzustand, gänzlich ungeachtet der – erinnern Sie sich, Herr Professor? – Komplexität all dessen, was so bezeichnet wird, sowie der Erscheinungen und Bedürfnisse, die ihr ihrerseits zugrunde liegen. Ob die Anhänger dieser Ersatz-These auch meinen, das Automobil sei ein Pferdeersatz?

Kaum erwähnt werden muss wohl, dass daran anknüpfend nicht-religiöse Weltbilder faktisch "reduktionistisch" seien. Das ist doch wirklich nicht zu fassen. Gibt es ein besseres Beispiel für ein relatives Urteil? Ich finde übrigens die christlichen Weltvorstellungen verglichen mit beispielsweise den indischen ebenfalls ausgesprochen reduktionistisch.

Das Sahnehäubchen setzte Tiefensee dem ganzen auf, als er auf die Frage eines Teilnehmers hin bekräftigte, die Aufklärung sei in der christlichen Kultur bereits angelegt gewesen. Dazu wählte er auch noch das denkbar hanebüchenste Argument: Bereits dadurch, dass vier Evangelien vorliegen, sei Pluralität von Anfang an Bestandteil des Christentums gewesen.
Die Tatsache der Schlussfolgerung unbestritten, hätte zunächst wenigstens noch ergänzt werden können, dass jene "Pluralität" nicht selten darin zum Ausdruck kam, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.
Allerdings wird die Verbindung zur Anzahl der Werke im literarischen Kanon nicht ganz klar: Die Muslime z.B. haben das mit der bewaffneten Pluralität auch schon wenige Jahre nach dem Tode Mohammeds hinbekommen, und dabei hatten die nur ein Buch! Auf der anderen Seite lohnt es sich, einmal einen Blick auf die autoritativen Schriften des Hinduismus zu werfen: Da kommt man auch auf mindestens vier – wenn man die Stellen vor dem Komma zählt.
Hätte er es bei der harmlosen Veranschaulichung belassen, wäre der Schaden noch begrenzt gewesen. Zu allem Überfluss musste der Theologe aber auch noch unmissverständlich festhalten: Wenn es eine Religion der Vielfalt gebe, dann das Christentum. Und damit sind wir wieder um 100 Jahre zurückgeworfen, zum "Wer diese Religion nicht kennt, kennt keine" eines Adolf von Harnack.

Diese Schelte soll gar nicht so heftig sein, wie sie anmutet. Professor Tiefensee ist seiner beschreibenden Aufgabe im Großen und Ganzen angemessen nachgekommen. Auch wies er u.a. die Behauptung eines Teilnehmers zurück, von Rationalismus und Szientismus gingen Gefahren aus.
Es ist ihm abzunehmen, dass er einen ernsthaften Dialog mit Konfessionsfreien führen will. Gleichzeitig lauert in ihm immer noch das Bild der wilden Atheisten, rechts und links und zwischen den Zähnen mit einem Dolch bewaffnet und jederzeit bereit, die Welt mit ihren so gar nicht ganzheitlichen Ansichten zu unterjochen.
Es wäre zu wünschen, dass sich in Tiefensee und ähnlichen Gemütern stattdessen das Bild der vielfältigen und (vor allem selbst-)kritischen Humanisten, das ja offenkundig bereits wahrgenommen wird, konsequent durchsetzt.
Gleichsam dürfen wir uns immer wieder darin erinnern, dass es sich bei religiösen Menschen ebenfalls nicht um eine Herde blinder Schäfchen handelt, die nie etwas anderes als die Bibel gelesen haben und den ganzen Tag das Vaterunser aufsagen.

1 Kommentar:

  1. Schöner Artikel von Tom Bioly, der treffend das Verhalten vieler kirchlicher und theologischer Vertreter gegenüber jenen »gottlosen Gesellen« zum Ausdruck bringt, die leider mit dem Wort Gottes nichts mehr anfangen können.

    Da Theologie und Kirche den Argumenten von Religionskritikern, Humanisten, Atheisten so wenig Stichhaltiges entgegenzusetzen haben, besteht heute die Strategie darin, diesen Kritikern Niveaulosigkeit, ein reduktionistisches Gottesbild, fehlende theologische Sachkenntnis, unterkomplexe, plakative Antworten oder pauschal Aggressivität in der Auseinandersetzung vorzuwerfen. So wie es Tom Bioly auch schreibt. Erinnert sei daher an die Bestseller-Autoren Manfred Lütz oder Matthias Matussek mit ihren dürftig bis verleumderisch zu nennenden Auslassungen gegen Nichtgläubige. Auch die katholische Internetplattform »kreuz.net« hetzte jahrelang gegen Religions- und Kirchenkritiker in einer Art, wie man es sonst nur von politisch extremen Kreisen kennt. Man könnte diese Form der Auseinandersetzung durchaus »antihumanistisch« nennen.

    Dawkins oder Schmidt-Salomon, um mal nur zwei prominente Vertreter zu nennen, wird von theologischer und kirchlicher Seite zu gern aggressives und polemisches Auftreten unterstellt. Tatsächlich sind es wohl deren wissenschaftlich fundierte und daher selten zu widerlegende, zugegeben manchmal sehr pointiert formulierte Ausführungen. Häufig ist es auch die Aufdeckung geheimer kirchlicher Vorgänge, die dann kirchlicherseits Gereiztheit und Empörung auslöst. Da religiösen und kirchlichen Vertretern oft entkräftende Argumente fehlen, unterstellen sie der Gegenseite stattdessen streitsüchtige Polemik und lehnen dann jede weitere Diskussion ab. (Erfahrungen, die ich in kirchlich-christlichen Blogs und Foren oft genug erleben musste.) Die unbestreitbare Leistung und der Grund des Erfolgs dieser beiden religionskritischen Vertreter besteht darin, dass sie Religions- und Kirchenkritik aus dem meist unzugänglichen und unverständlichen Milieu akademischer Kreise herausgeholt und sich in Sprache und Argumentation auf das angemessene Niveau an der Sache interessierter, aber nicht philosophisch und theologisch einschlägig ausgebildeter Menschen begeben haben. Mit anderen Worten: Immer mehr Menschen geraten in den Kreis der Aufgeklärten. Und das ist gut so. Schließlich ist Bildung nach wie vor der größte Feind der Religion. (www.uwelehnert.de)

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