Donnerstag, 22. Mai 2014

Ein Protestbrief und seine Reaktionen

Unser öffentlicher Protestbrief, den wir anlässlich der sog. „Hochschultage“ vom 12. bis 14. Mai 2014 an den Rektor der Universität Jena, Professor Dr. Klaus Dicke, und an den Jenaer Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter schickten, hat einigen Staub aufgewirbelt. Wir haben den offenen Brief nicht nur hier auf unserem Blog veröffentlicht, sondern auch klassisch in Papierform an verschiedenen Stellen in der Universität und den Mensen verteilt. Zusätzlich berichteten einige Nachrichtenportale und Blogs über unsere Aktion und schlossen sich im Grundsatz ausnahmslos unserer Kritik an, was in den entsprechenden Kommentarfunktionen zu lebhaften Diskussionen führte, in die wir uns manchmal auch selbst zur Richtigstellung einiger falscher Behauptungen einschalteten:

Jena TV 

Von Oberbürgermeister Schröter haben wir leider keine schriftliche Reaktion auf unseren öffentlichen Appell erhalten. Doch Rektor Klaus Dicke schickte uns eine kurze E-Mail, in der er uns mitteilte, „dass von der Universität – sofern mit der Veranstaltung keine rechtswidrigen Inhalte verfolgt oder vertreten werden – die Hochschulgruppen unabhängig von der (konfessionellen) Bindung gleichbehandelt werden und daher im Rahmen der Verfügbarkeit Räume für eigene Veranstaltungen genutzt werden können.“ Und da die Universität Jena erkennbar nicht Veranstalter der Hochschultage sei, mache sie sich auch deren Meinung nicht zu eigen. Leider zieht sich der Rektor damit lediglich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz zurück und geht nicht direkt auf unsere Argumentation ein. Denn wir haben keineswegs gefordert, eine kreationistische Sicht auf den Menschen und die Welt zu verbieten. Auch abstruse Ansichten werden vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasst (insofern sie nicht verfassungsfeindlich sind), doch sind wir der Meinung, dass solche Ideologien nicht an staatlichen Institutionen wie Universitäten verbreitet werden sollten. Oder sollten Evolutionsbiologen ihre Forschungsergebnisse von den Kanzeln der Kirchen verkünden? (so der pragmatische "Vorschlag" auf brightsblog). Die Universität ist kein Ort zur Popularisierung jeglicher Meinung und erst recht nicht zur Verbreitung wissenschaftlich widerlegter Ansichten. Wenn die Universität ein bloßer Meinungsjahrmarkt wäre, bedürfte es keiner Studien-, Promotions- und Habilitationsordnungen – schließlich ist es deren Zweck, die wissenschaftliche Qualität von Aussagen zu wahren. Die Akzeptanz jeglicher noch so kruden Theorie als „wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag“, ist einer Universität nicht würdig. Die Legitimation für die Unterhaltung einer Universität, d. h. die Ausstattung einer solchen staatlichen Institution mit öffentlichen Geldern, liegt im gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass es sich bei ihr um einen Hort der Wissenschaft handeln soll. Zweck und Grenze universitären Handelns ist damit die Wissenschaft. Dies umfasst auch die Vergabe von Räumen, denn über die Nutzung der Räume bringt man zwangsläufig die Universität selbst mit den Inhalten der Nutzung in Verbindung. Letzten Endes stellt die Universität damit ihre wissenschaftliche Reputation zur Verfügung. Während andere Universitäten in dieser Hinsicht langsam aufwachen (bspw. hat die TU Chemnitz im April 2014 nach 6 Jahren die Notbremse gezogen und nach öffentlichem Protest einem Verein von Impfgegnern die Räume versagt), scheint Jena noch zu schlafen.

Auch in der 10. Ausgabe des Parlamentsreports der Fraktion „Die Linke“ im Thüringer Landtag wurde in einem Artikel mit der Überschrift „Dubiose ‚Hochschultage‘ in Jena“ kritisch über die Veranstaltung, die Schirmherrschaft und das Grußwort des SPD-OB Schröter berichtet sowie unsere öffentliche Kritik erwähnt.
Darin heißt es: „Die Konjunktur solcherart öffentlicher Wortergreifung von Evangelikalen und Kreationisten ist in Thüringen direktes Ergebnis politischer Winkelzüge.“ Der Autor Stefan Wogawa erinnert in diesem Zusammenhang an die schon einige Jahre zurück liegenden, äußerst fragwürdigen Hofierungen des evangelikalen Kreationismus durch den früheren thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU). Völlig zutreffend resümiert Wogawa: „Die Friedrich-Schiller-Universität Jena muss aufpassen, sich keinen Ruf als Anlaufpunkt und Podium wissenschaftsfeindlicher Obskuranten zu schaffen.

Neben diesen „offiziellen“ Kanälen erreichten uns natürlich auch per E-Mail und auf unserer Facebook-Seite zahlreiche Reaktionen, die sowohl positiv als auch negativ ausfielen und hin und wieder bis zu handfesten Beschimpfungen reichten. Der Vorwurf von einigen Mitgliedern der „Studentenmission Deutschland“ (SMD) und „Entschieden für Christus“ (EC), dass wir „ekelhafte Propaganda“ betreiben würden, die Evolution „kein Fakt“ sei sondern nur ein „philosophisches Konstrukt“, dass in der Universität fälschlicherweise „als Wahrheit“ gelehrt werde, der man „blind“ folgen müsse, lässt hier tief blicken. Hin und wieder wurde aber auch sachliche Kritik vorgebracht, die wir auf ebenfalls sachliche Art und Weise beantworteten, sodass z.T. manchmal sogar sinnvolle Diskussionen entstanden. Auf der positiven Seite möchten wir desweiteren erwähnen, dass uns z.B. Prof. Dr. Ulrich Kutschera, Professor an der Uni Kassel, Visiting Professor an der Stanford University und Vorsitzender des Arbeitskreises (AK) Evolutionsbiologie im Deutschen Biologenverband (VBiO) zu unserer Aktion ausdrücklich gratulierte. Kreationistische Thesen seien eine Gefahr für den Wissenschaftsstandort Deutschland und müssen verbal bekämpft werden, so Kutschera. Der Pflanzenphysiologe und Evolutionsbiologe befasst sich seit Jahren kritisch mit dem Kreationismus in Deutschland. In seinem neuen Buch „Desgin-Fehler in der Natur“ geht er auf über 100 Seiten auf die Strategien von Wort und Wissen ausführlich ein. Zudem hat er jüngst eine kritische Rezension zu dem „Longseller“ von Wort und Wissen veröffentlicht.Sein Fazit zu dem von Reinhard Junker und Siegfried Scherer herausgegebenen „Kritischen Lehrbuch” zur Evolution lautet, dass es zur Illustration der nachhaltig negativen Folgen einer fundamentalistischen Indoktrination bestens geeignet sei. Den Autoren bescheinigt er aufgrund der jahrelangen Absorption biblisch-kreationistischer Literatur einen massiven Realitätsverlust.

Alles in Allem können wir unsere Aktion als kleinen Erfolg betrachten, da wir sicherlich den ein oder anderen auf die dubiosen Hintergründe der sog. Hochschultage aufmerksam machen und zum kritischen Nachdenken anregen konnten. Außerdem haben wir somit noch einmal auf die Gefahren der pseudowissenschaftlichen kreationistischen Ideologie hingewiesen, die nicht nur in den USA oder in der Türkei, sondern auch in Deutschland immer verrücktere Blüten treibt. Und nicht zuletzt konnten wir auch zeigen, dass es in Jena – der Wirkstätte des bedeutsamen Zoologen Ernst Haeckel – eine kleine und aktive Gruppe gibt, die sich öffentlich und kritisch zu Wort meldet, wenn durch einige religiöse Gruppen versucht wird, an der Universität die wissenschaftliche Methode zu untergraben.


Häufige Fragen und Missverständnisse: 


Im Folgenden möchten wir noch auf einige Fragen bzw. Missverständnisse eingehen, die im Zusammenhang mit unserer Aktion des Öfteren aufgetreten sind.

1. Es wurde gefragt, was genau denn nun die Gefahren des Kreationismus seien:

Für eine umfassende Antwort möchten wir auf den hervorragenden, von Ulrich Kutschera herausgegebenen Sammelband "Kreationismus in Deutschland: Fakten und Analysen" verweisen. Autoren wie Uwe Hoßfeld und Thomas Junker bieten hier einen detaillierten Einblick in das kreationistische Netzwerk.

Zusammengefasst möchten wir wie folgt antworten: Aus wissenschaftlicher Perspektive ist der Kreationismus gefährlich, weil einer der Meilensteine in der wissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen (die Evolutionstheorie) einem nicht falsifizierbaren Glauben geopfert zu werden droht und insbesondere internationale Forschungsvorhaben nicht vorstellbar sind, wenn alle Forscher ihren eigenen Glauben einbringen statt auf der Grundlage des Naturalismus eine gemeinsame Methode zu praktizieren.

Aus gesellschaftlicher Perspektive ist der Kreationismus gefährlich, weil er den Boden bereitet für die Überhöhung des eigenen Glaubens: gläubige, unentschlossene und teilweise sogar ehemalige nicht-religiöse Menschen werden mit vermeintlich wissenschaftlichen Behauptungen geködert (missioniert), indem ihnen "bewiesen" wird, das es einen Gott geben muss. Damit wird eine persönliche Glaubensfrage umetikettiert in eine Frage des besseren Wissens. Natürlich wird aber gerade nicht einfach nur ein “unvorstellbarer Gott” als Schöpfer propagiert, über den wir keine Aussage treffen können und mit dem sich daher auch Agnostiker anfreunden können. Sondern jede Religionsgemeinschaft verkauft unter ihren kreationistischen Lehren nur ihren eigenen Gott und Glauben. Damit sind wir bei den generell bedenkenswerten Folgen von Religionen angelangt – was den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Wer hieran Interesse hat, kann gerne zu unserem humanistischen Stammtisch kommen. Als Beispiel möchten wir aufgrund der Aktualität lediglich eine E-Mail der "Studenten für Christus" (eine der die Hochschultage organisierenden Gruppen) veröffentlichen. Die Nachricht wurde uns zugespielt und dürfte für sich sprechen (farbliche Hervorhebung durch uns):

Liebe SfCler,
wie viele von euch vermutlich mitbekommen haben, findet nächsten Freitag die lange Nacht der Museen statt. Ich wurde gebeten, euch deshalb die unten folgende Mail weiterzuleiten. 

Liebe Grüße,
XXXX

Liebe Beter,
am kommenden Freitag, den 23. Mai findet in Jena die lange Nacht der Museen statt.
Ein Programm-Punkt lautet:
"Der panathenäische Prozessionszug - eine Performace"
Da geht es um einen Prozessions-Umzug mit einem Opferritual für die Göttin Athene.
näheres nachzulesen unter folgender Website:
Bitte steht im Gebet auf und stellt Euch dagegen!
In unserer Stadt soll nur der eine allmächtige Gott angebetet werden!
Ihm gehört unsere Stadt und Er allein regiert!
Bitte ruft das über unserer Stadt aus!
Götzen-Anbetung und Götzen-Opfer dulden wir nicht!
Wer Kontakte zu weiteren Betern, besonders in den Studenten-Kreisen hat, informiere diese bitte schnellst möglich!
Wir als Beter stehen als Wächter auf der Mauer und wachen über unserer Stadt.
Da wir dem allmächtigen Gott dienen, haben wir den Sieg!
Liebe Grüße und Gottes Segen!
Euer XXXX

Wem dieses Beispiel nicht genügt und wer die Gefahren von "offizieller Seite" bestätigt wissen möchte: Der Europarat (der u. a. auch die Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK ausgearbeitet hat) verabschiedete bereits 2007 die Resolution 1580 (2007) mit dem Titel „The dangers of creationism in education“. Darin heißt es: 

„If we are not careful, creationism could become a threat to human rights, which are a key concern of the Council of Europe. […]
4. The prime target of present-day creationists, […], is education. Creationists are bent on ensuring that their ideas are included in the school science syllabuses. Creationism cannot, however, lay claim to being a scientific discipline.
5. Creationists question the scientific character of certain areas of knowledge and argue that the theory of evolution is only one interpretation among others. They accuse scientists of not providing enough evidence to establish the theory of evolution as scientifically valid. On the contrary, creationists defend their own statements as scientific. None of this stands up to objective analysis.
6. We are witnessing a growth of modes of thought which challenge established knowledge about nature, evolution, our origins and our place in the universe.
7. There is a real risk of serious confusion being introduced into our children’s minds between what has to do with convictions, beliefs, ideals of all sorts and what has to do with science. An “all things are equal” attitude may seem appealing and tolerant, but is in fact dangerous.
8. Creationism has many contradictory aspects. The “intelligent design” idea, which is the latest, more refined version of creationism, does not deny a certain degree of evolution. However, intelligent design, presented in a more subtle way, seeks to portray its approach as scientific, and therein lies the danger. [Anm.: Man könnte auch sagen: Bereits das Vermischen von Wissenschaft und Glaube ist gefährlich genug!]
[…]
10. Creationism claims to be based on scientific rigour. In reality the methods employed by creationists are of three types: purely dogmatic assertions; distorted use of scientific quotations, sometimes illustrated with magnificent photographs; and backing from more or less well-known scientists, most of whom are not specialists in these matters. By these means creationists seek to appeal to non-specialists and spread doubt and confusion in their minds. […]
13. The war on the theory of evolution and on its proponents most often originates in forms of religious extremism closely linked to extreme right-wing political movements. The creationist movements possess real political power. The fact of the matter, and this has been exposed on several occasions, is that some advocates of strict creationism are out to replace democracy by theocracy. […]
If we are not careful, the values that are the very essence of the Council of Europe will be under direct threat from creationist fundamentalists. It is part of the role of the Council of Europe’s parliamentarians to react before it is too late.”

Setzt sich die kreationistische Denkweise durch (und ihre Vertreter arbeiten eifrig darauf hin), dann ist langfristig die gesamte Forschungslandschaft und der damit einhergehende Wohlstand in Gefahr: In einem aktuellen Artikel der Süddeutschen Zeitung wird ein ehemaliger Luftfahrtingenieur, der dem kreationistischen Glauben verfallen ist, wie folgt wiedergegeben: "Hier sind alle Fragen beantwortet, wir können das Geld für die Forschung sparen. Es steht alles in der Bibel."

In einem lesenswerten Artikel auf Zeit-Online heißt es:

„In den USA bekennen sich die CE-Anhänger [CE = Entschieden für Christus] oft lautstark zu ihrem Glaubensbekenntnis. Regelmäßig gehen dort junge Frauen auf die Straße, tragen große Plakate, auf denen sie sich gegen Sex vor der Ehe aussprechen und sich für ein restriktives Abreibungsrecht stark machen. Die texanische Gouverneurin Miriam Ferguson, bekennende Christin und CE-nah, sprach sich gegen das Lehren von Fremdsprachen an den Schulen aus. Ihre Begründung: If English was good enough for Jesus Christ, it's good enough for us. Wenn Englisch für Jesus Christus gut genug war, ist es das auch für uns. Und CE-Anhänger US-Präsident George W. Bush beteuert, durch Gott vom Alkoholismus weggekommen zu sein. Außerdem habe er es ausschließlich dem Allmächtigen zu verdanken, dass er wiedergewählt wurde.“

Weitere Hintergrundinformationen finden sich hier, hier und hier

2. Es wurde Kreationismus mit wissenschaftsimmanenter Kritik verwechselt:

Ein Kommentator auf astrodicticum-simplex schrieb:
„hm, abgesehen davon, stimme ich peter imming eigentlich zu, wenn er der meinung ist, dass auch “wissenschaftliche Evolutionskritik” einen platz an ausbildungseinrichtungen haben sollte. jede wissenschaftliche theorie braucht kritik – schon allein um sich zu verbessern und sich weiterzuentwickeln. und ich finde es nicht schlüssig, warum man da bei der evolutionstheorie eine ausnahme machen sollte. aber warum sollte man nicht jedem die freiheit lassen, sich selbst ein bild zu verschaffen und es den studenten auch zutrauen zu einem eigenen urteil zu kommen?!“

Auseinandersetzung und Kritik sind der Wissenschaft immanent. In dem Zitat von Peter Imming, dass wir in unserem Appell analysieren, liegt die Betonung auf „Kritik wie unsere“. Damit ist eben nicht die „normale“ (echte wissenschaftliche) Kritik gemeint, die auf Logik und Empirie beruht, sondern die unsaubere Arbeitsweise von Kreationisten: das Herauspicken von (noch bestehenden) Lücken oder (vorläufigen) Erkenntnissen und das Unterschlagen und Verzerren gefestigter Erkenntnisse, damit Raum für ihren Schöpfungsglauben entsteht, den sie wie einen Zaubertrank in die Schatztruhe der Wissenschaft gießen. Da das Wort der Bibel für sie über dem Wissen steht, schrecken Kreationisten auch nicht davor zurück, einige Schätze (wie die Evolutionstheorie) aus dieser Schatztruhe mutwillig zu entfernen, um mehr Platz für ihre religiös-fundamentalistische Sicht auf die Dinge zu erhalten. Nachweise für die kritikwürdigen Methoden der Kreationisten finden sich z. B. hier

3. Die Erwähnung von Harun Yahya wurde als diskreditierend empfunden:
„Unglücklich ist der im Brief der GBS-Studentengruppe zu nennende Bezug zu Harun Yahya (Adnan Oktar), Holocaustleugnern, Extremkreationisten zu nennen. Hier dämmert das moralische Argument der Nazikeule auf, Godwin’s Law lässt grüßen. Die Studiengruppe hätte solch moralisch-ideologisierende Argumentation nicht nötig gehabt.
Fachlich falsch ist der Vergleich des Langzeit-Kreationisten Harun Yahya mit den Kurzzeit-Kreationisten von “Wort und Wissen.”

Wir wollten Harun Yahya und „Wort und Wissen“ nicht miteinander vergleichen. Insbesondere wollten wir die 3 evangelikalen Hochschulgruppen nicht in eine Ecke mit Holocaustleugnern stellen. Wenn der Verfassungsschutz aber vor einem Kreationisten warnt und die Universität unreflektiert anderen Kreationisten die Tür öffnet, dann ist das unseres Erachtens eine Erwähnung wert. Es sei daher noch einmal hervorgehoben: Der Anlass für den Informationsbrief des Verfassungsschutzes waren eben nicht die Antisemitismusvorwürfe gegen Harun Yahya, sondern ganz konkret die Warnung vor dessen kreationistischem Bildband.
Davon abgesehen ist natürlich auch das Beispiel Harun Yahya geeignet (ebenso wie die auf der ersten Seite des Briefes angeführten Extrempositionen), zu zeigen, wohin sich das Spiel mit dem kreationistischen Feuer ausbreiten kann.

4. Warum genau ist Kreationismus „pseudowissenschaftlich“?

Weil über eine religiöse Ideologie, die z.T. bis ins theokratisch-fundamentalistische reicht, lediglich das Mäntelchen einer wissenschaftlichen Sprache gezogen wurde. Dabei ist der Kreationismus weder ergebnisoffen (das Ergebnis steht nämlich vorher schon fest: Die Bibel ist wörtlich zu nehmen und hat immer recht!), noch wird konsequent auf der Basis von Logik und Empirie intellektuell redlich argumentiert. Daten und Befunde werden nach Belieben ohne den dazugehörigen Kontext herausgepickt, verdreht oder auch relativiert bzw. verschwiegen, damit alles am Ende wieder auf das Ergebnis herausläuft, welches schon zu Beginn feststand: die Bibel hat immer Recht. Das hat weder etwas mit wissenschaftlicher Methodik noch mit kritischem Denken zu tun.

Viele Menschen halten es offenbar nicht aus, wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen. Nach allem was wir wissen ist der Mensch nicht der Zweck und Mittelpunkt der Universums, sondern nur eine vorübergehende Randerscheinung, auf einem Staubkorn im Weltall, wie es viele Milliarden gibt, am Rande einer Galaxie, wie es viele Milliarden gibt, in einem Galaxienhaufen, wie es viele Milliarden gibt und eventuell in einem Universum, wie es viele Milliarden gibt. Und selbst wenn das Universum eine "erste Ursache" benötigte, was keineswegs gesagt ist (vgl. L. Krauss, „Universum aus dem Nichts“; S. Hawkings/L. Mlodinow, „Der Große Entwurf“), so kann dies genauso gut eine natürliche Ursache haben und muss keineswegs zwingend einen persönlicher Designer voraussetzen.

Zu dieser narzisstischen Kränkung kommt noch hinzu, dass alle paläoanthropologischen und archäologischen Daten, alle Fossilien und alle Daten aus der Genetik darauf hindeuten, dass 1. alle heute lebenden Menschen – egal welcher Ethnie – einen gemeinsamen evolutionären Ursprung haben und 2. dieser Ursprung in Afrika liegt. Für viele weiße Europäer und Amerikaner aber auch nationalistisch eingestellte Chinesen scheint dies tatsächlich immer noch (oder wieder) ein Problem zu sein. Es gibt mittlerweile tausende von fossilen Skelettresten der Homininen, die unsere Vorfahren waren. Auf knapp 1000 Seiten bietet z.B. Richard Klein, "The Human Career" (2009) einen emotionslosen, neutralen, wissenschaftlich korrekten und aktuellen Überblick über den Stand der Forschung allein mit über 1000 Quellenbelegen auf 180 Seiten in seinem Anhang. Und hier geht es nur um die Evolution des Menschen. Ganz zu schweigen von den zehntausenden von Fossilien anderer Spezies, oder von den vielen Eisbohrkernen aus der Arktis und der Tiefsee, die empirische Belege für das hohe Alter der Erde und das Paläoklima beinhalten. Radiometrische Datierungsverfahren, die aufgrund der Messung von radioaktiven Elementen das Alter von verschiedenen Stoffen feststellen können (Radiokarbonmethode, Uran-Thorium-Methode, Potassium-Argon-Methode, Argon-Argon-Methode, Spaltspurdatierung) oder Elektronen-Datierungsmethoden (Thermolumineszens, Elektronspinresonanzdatierung, Optische Methoden), ganz zu schweigen von der klassischen stratigraphischen Methode usw. usf., belegen alle unabhängig voneinander das hohe Alter der Fossilien. Wenn auch einige Details noch unklar sein mögen, was kein Wissenschaftler bestreitet, wie z. B. einige Aspekte bei der frühen chemischen Evolution, so heißt dies nicht, dass die ganze Evolutionstheorie zu verwerfen wäre. Das ist nur ein Trick der Kreationisten, die verzweifelt nach "gaps" und "missing links" suchen, und die sich jedes Mal zurückziehen müssen, wenn dann doch neue Belege aus Paläoontologie und Genetik auftauchen, oder eben gleich in einen irrationalen Fundamentalismus übergehen. Übrigens wäre es ganz einfach die Evolutionstheorie zu widerlegen: ein einziges Fossil in der falschen geologischen Schicht (z.B. Kaninchenfossilien im Präkambrium). Nach 200 Jahren weltweiter Forschung ist jedoch kein einziger Fall bekannt.

5. Tatsächliche „Fehler“ in unserem Protestbrief:

Die in Fußnote 1 angegebene Webseite behauptet nicht, wie in unserem Brief angegeben, dass die Erde eine Scheibe sei, sondern – nicht weniger Wirklichkeitsfremd – dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei. Die Aussage, dass einige Kreationisten tatsächlich sogar an eine flache Erde glauben, findet sich hingegen hier sowie auf der Webseite des im Brief erwähnten Arbeitskreises Evolutionsbiologie.

In dem in Fußnote 2 angegebenen Interview des Spiegel mit Adnan Oktar (alias Harun Yahya) behauptet dieser nicht, alle Darwinisten seien Terroristen, sondern (umgekehrt): alle Terroristen seien Darwinisten. Welche Variante verrückter ist – entscheiden Sie selbst:

SPIEGEL ONLINE: Richard Dawkins, einer der prominentesten Vertreter des neuen Atheismus, hat seinen Bestseller "Der Gotteswahn" jüngst auf Türkisch veröffentlicht. 15.000 Exemplare sollen bereits verkauft worden sein. Er schreibt unter anderem, dass Religion eine Ursache für Terrorismus sein kann.
Oktar: Der Darwinismus ist die Grundlage für Hitlers und Mussolinis Faschismus und Stalins Kommunismus. Und wenn wir uns die Gegenwart anschauen, dann sehen wir, dass alle Terroristen – auch diejenigen, die sich selbst als Muslime betrachten – in Wahrheit Darwinisten und Atheisten sind. Ein gläubiger Mensch, der regelmäßig betet, legt keine Bomben. Das machen nur Menschen, die vorgeben, Muslime zu sein – oder Darwinisten, die klar sagen, dass sie Terroristen oder Kommunisten sind. Folglich sind sie alle Darwinisten.“

9 Kommentare:

  1. Wenn es einen Preis für besonders sachliche Texterzeugnisse geben würde, ihr hättet ihn sicherlich bekommen. Aber das wäre ja auch nicht anders zu erwarten bei einer Vereinigung, die sich "Wissenschaft" und "Rationalität" auf die Fahnen geschrieben hat. Hervorheben möchte ich die durchgehende Stringenz und Logik in der Argumentation und die gute Auswahl der Quellen, deren empirisch-wissenschaftlicher Gehalt wirklich bestechend ist. Einen Pluspunkt gebe ich für die Tatsache, dass auf Unterstellungen, krasse Thesen, Verallgemeinerungen sowie auf das Copy & Paste-Verfahren verzichtet wurde. Im Anhang einige Perlen: "Setzt sich die kreationistische Denkweise durch (und ihre Vertreter arbeiten eifrig darauf hin), dann ist langfristig die GESAMTE FORSCHUNGSLANDSCHAFT und der damit einhergehende WOHLSTAND IN GEFAHR". "Wenn auch einige DETAILS noch unklar sein mögen, was kein Wissenschaftler bestreitet, wie z. B. EINIGE Aspekte bei der frühen chemischen Evolution ..." "Zu dieser NARZISTISCHEN KRÄNKUNG kommt noch hinzu, dass ALLE paläoanthropologischen und archäologischen Daten, ALLE Fossilien und ALLE Daten aus der Genetik darauf hindeuten, dass 1. alle heute lebenden Menschen – egal welcher Ethnie – einen gemeinsamen evolutionären Ursprung haben ...", Viele Grüße, Theo. PS: Es gibt wirklich niveauvollere Kreationismuskritiker als Kutschera & Co, die etwas mehr auf den Kasten haben. Allerdings lassen sich die nicht so gut für den Agitprop einsetzen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Theo, wenn wir dich zu solchen Sätzen verleiten, haben wir doch eigentlich alles richtig gemacht...

      Löschen
    2. Das leuchtet ein.

      Ich nehme zur Kenntnis, dass es euch nicht um sachliche (geschweige konstruktive) Kritik geht, sondern einfach nur ums Bekämpfen. Und dazu scheinen euch auch krasse Mittel recht zu sein, vor denen ihr offensichtlich nicht zurückgeschreckt seid. Das zeugt von Armut und spricht gegen eure moralische Integrität. Theo

      Löschen
  2. Die Aktion als "kleinen Erfolg" zu bewerten, ist sehr weit hergeholt.
    1. Die Hochschulage fanden statt
    2. Das Seminar mit Prof. Imming war sehr gut besucht
    3. Der Rektor hat sich - wie oben zitiert - klar positioniert
    4. Der Oberbürgermeister hat das angekündigte Grußwort gehalten und damit seine Schirmherrschaft bestätigt

    Damit sind die Hauptziele des Protestbriefes nicht erreicht.

    Die Formulierung "Zusätzlich berichteten einige Nachrichtenportale und Blogs über unsere Aktion und schlossen sich im Grundsatz ausnahmslos unserer Kritik an..." ist eine irreführende Darstellung.
    Der humanistische pressedienst hat den Protestbrief lediglich dokumentiert. JenaTV hat nur eine kurze Meldung ohne Bewertung des Protestes veröffentlicht und auf der Plattform Jenapolis (Beitrag von T. Netzbandt) wurde beim Hauptkritikpunkt des angeblichen Kreationismus ebenfalls keine Bewertung vorgenommen.

    AntwortenLöschen
  3. Schön wie Sie den Text verzerren. Warum der Protestbrief trotz der Punkte die Sie hier ins Felde führen als kleiner & bescheidener Erfolgt von der Gruppe angesehen wurde, steht noch im selben Absatz. Ich zitiere: "da wir sicherlich den ein oder anderen auf die dubiosen Hintergründe der sog. Hochschultage aufmerksam machen und zum kritischen nachdenken anregen konnten. Außerdem haben wir somit noch einmal auf die Gefahren der pseudowissenschaftlichen kreationistischen Ideologie hingewiesen [..] konnten wir auch zeigen, dass es in Jena [..] eine kleine und aktive Gruppe gibt, die sich öffentlich und kritisch zu Wort meldet, wenn durch einige religiöse Gruppen versucht wird, an der Universität die wissenschaftliche Methode zu untergraben."
    Wer lesen kann ist klar im Vorteil.

    AntwortenLöschen
  4. Nur, dass es leider nicht zutreffend ist, dass "die wissenschaftliche Methode" untergraben wurde / werden sollte.

    Vielleicht haben sich gerade durch die GBS viele motiviert gesehen, v.a. den Vortrag Herrn Immings zu besuchen. Das würde ich als den eigentlichen Erfolg der GBS definieren ;-)
    Ironischerweise - das schließe ich aus der Stimmung und der kurzen, positiv emotionalen Diskussion nach Ende des Vortrags - konnte wohl niemand kritischen Anstoß am Vortrag, der Darstellung des Referenten und den Methoden finden.
    (Solche Details, dass also der gbs-Brief einfach nur unnötig überzogen war, werden natürlich im Nachhinein nicht berücksichtigt.)

    AntwortenLöschen
  5. Hauptvorwurf gegenüber den Hochschultagen in Ihrem öffentlichen Appell war, dass "aller Erwartung nach zum wiederholten Male auch kreationistische Lehren am Wissenschaftsstandort Jena verbreitet werden". Im Protestbrief, der insbesondere das Seminar mit Prof. Dr. Imming kritisierte, wurde dem Referenten u. a. die "Untergrabung der Naturwissenschaften" unterstellt.

    Leider gehen Sie in Ihren obigen Ausführungen trotz der erheblichen Länge nicht darauf ein, an welchen Stellen durch die Hochschultage die Wissenschaft tatsächlich untergraben wurde. Im Sinne einer logischen, wissenschaftlichen Beweisführung hatte ich genau das hier erwartet. Und Vertreter der gbs-Hochschulgruppe waren ja sicher zum Vortrag von Prof. Dr. Imming anwesend, um die eigenen Thesen zu überprüfen.

    Diesen Beweis müssen Sie insbesondere deshalb erbringen, weil Sie im obigen Text die Hochschultage und die veranstaltenden christlichen Hochschulgruppen nach wie vor in einen Zusammenhang mit der Verbreitung unwissenschaftlicher Ansichten bringen. Sollten Sie den notwendigen Beweis nicht erbringen können, wäre es vielleicht ratsam, den Text oben von Ihrer Website zu nehmen. Ansonsten wirft Ihnen noch jemand vor, unsauber zu argumentieren oder bezweifelt gar die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten.

    Es steht Ihnen ja frei, sich mit Kreationismus auseinanderzusetzen und vor möglichen Gefahren zu warnen. Die Hochschultage sind dazu aber offensichtlich kein geeignetes Beispiel.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. So ist es. Man reflektiert in totaler Selbstbezogenheit die Wirkung seiner eigenen Propagandaaktion. Die notwendig zu stellende Frage, ob und inwiefern die heraufbeschworenen Gefahren sich rückblickend überhaupt bestätigt haben, interessiert die gar nicht. Die wirklichen Inhalte der Hochschultage spielen keine Rolle. Theo

      Löschen