Montag, 12. Januar 2015

Stellungnahme zur Gedenkveranstaltung "Je suis Charlie"


Foto: © Markus Kämmerer, Happy Arts Fotodesign, blog.happyarts.de

Wir möchten uns zunächst bei allen Teilnehmern für ihr Kommen bedanken. Mit so vielen Menschen hatten wir nicht gerechnet und wir haben uns auch sehr über die Dankesbekundungen für die Organisation dieser Versammlung gefreut.

Leider waren von den rund 200 Teilnehmern einige (u. a. auch 2 Mitglieder unserer Gruppe) mit dem Verlauf der Veranstaltung nicht einverstanden. Dies bedauern wir sehr und auch an uns ist die Diskussion nicht spurlos vorübergegangen. Unserer Hochschulgruppe wurde zum einen vorgeworfen, dass wir überhaupt eine Rede gehalten haben, als auch dass der Inhalt der Rede nicht angemessen gewesen sei. Möglicherweise erschien einigen auch die Wortwahl an manchen Stellen der Rede unglücklich. Doch die Rede wurde spontan, ohne Skript oder Vorbereitung gehalten. Schließlich wurde uns von einigen Besuchern sogar eine Nähe zur PEGIDA-Bewegung unterstellt. Gemessen an der Schwere der Vorwürfe möchten wir uns zu diesen Punkten äußern:



1. Wir sind nicht PEGIDA!

Die vorgetragene Kritik am Islam missinterpretierten manche Teilnehmer als eine Unterstützung der PEGIDA. Doch wer PEGIDA ruft, sollte auch prüfen, ob PEGIDA drin ist:
  • Anders als die Dresdner Bewegung haben wir neben dem Jenaer Oberbürgermeister, dem Präsidenten der Universität sowie der Rektorin der Fachhochschule, bewusst auch die Medien, Parteien und Gewerkschaften eingeladen – sprich alle Institutionen, die PEGIDA als Lügner ablehnt.
  • Darüber hinaus haben wir auch explizit das Islamische Zentrum Jena e.V. sowie den Islamischen Kulturverein Jena e.V. eingeladen. Eine Reaktion hierauf haben wir leider nicht erhalten.
  • In besagter Rede wurde in keiner Weise von einer angeblichen „Islamisierung“, von einem „unablässigen Flüchtlingsstrom“ oder gar von einer „Verteidigung des christlichen Abendlandes“ gesprochen – und wer uns kennt, der weiß, dass gerade wir die Quellen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht etwa im Christentum erblicken, sondern vielmehr in humanistischen Idealen unter anderem aus den Epochen der Antike, der Renaissance sowie der Aufklärung.
  • In der Rede wurde zwischen der abzulehnenden Pauschalverurteilung aller Muslime und der notwendigen Ideologiekritik am Islam differenziert (siehe unten).
  • Die Giordano-Bruno-Stiftung als solche (also nicht nur unsere Hochschulgruppe), hat sich bereits frühzeitig und hinreichend von PEGIDA distanziert und eine eigene Broschüre mit dem bezeichnenden Titel „Gegen Islamismus UND Fremdenfeindlichkeit“ herausgegeben. Bevor ihr aufgrund einer spontanen und (der Kurzfristigkeit geschuldeten) unvorbereitet gehaltenen Rede die Stiftung in Gänze ablehnt, möchten wir euch bitten, neben unserer Stellungnahme auch diese Broschüre zu lesen und euch ein umfassenderes Bild zu machen.
Wenn wir uns PEGIDA hätten anschließen wollen, dann hätten wir dies deutlich zum Ausdruck gebracht. Es ist unlauter, uns diesen Schuh anziehen zu wollen, nur weil wir uns während der Rede nicht ausdrücklich davon abgegrenzt haben. Eine sinnvolle Debatte ist nicht möglich, wenn man seinen eigentlichen Aussagen stets vorausschicken soll, was man nicht meint. Auch die Mitarbeiter von Charlie Hebdo würden uns sicherlich zustimmen, wenn wir sagen: humanistische Islamkritik muss möglich sein, ohne in die rassistische Ecke gedrängt zu werden.

Empörung erntete auch der Satz „Wir sind weder hier, um Islamhetze zu betreiben, noch um PEGIDA als gut oder böse zu bewerten. Diskutiert werden muss weniger über die Bewegung, sondern mehr über die dort angesprochenen Themen.“ Dies wurde uns als eine nicht hinreichende Abgrenzung von PEGIDA ausgelegt. Die gleichen Kritiker, denen die Gedenkveranstaltung zu politisch war, fordern also andererseits eine politische Auseinandersetzung. Es soll nicht verschwiegen werden, dass auch einige Mitglieder unserer Gruppe hinterher meinten, wir hätten uns deutlicher von PEGIDA und ihren kruden populistischen Parolen distanzieren sollen – dies sei hiermit ausdrücklich nachgeholt. Nichtsdestotrotz stimmt die Gruppe mit dem Redner überein, dass die bloße Ablehnung von PEGIDA nicht weiterhilft. Da die gesellschaftliche Debatte diesbezüglich weitgehend in einer „Gut gegen Böse“-Dämonisierung verhaftet bleibt, war es dem Redner ein Anliegen, die Notwendigkeit der Suche nach Lösungen zu betonen. Mit dieser Forderung stehen wir auch keineswegs alleine da: Ralf Leifer, Geschäftsführer des Landesverbandes Thüringen des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) fordert im gleichen Interview, in dem auch über die Gedenkveranstaltung berichtet wird, von der Presse ein Umdenken: „Wir müssen auf ihre Themen eingehen, die sie bewegen, und wir müssen in unserer Berichterstattung das entsprechend aufgreifen und Lösungen aufzeigen und auch Prozesse, die zu Lösungen führen.“ Nichts anderes wollte unser Redner zum Ausdruck bringen.

2. Kritik am politischen Islam ist jetzt notwendiger denn je!


In der Islam- und Integrationsdebatte haben sich die Fronten verhärtet: Während die einen jegliche Kritik an der patriarchalen Herrschaftskultur des orthodoxen Islam ablehnen, schüren die anderen eine gefährliche Muslim-Feindlichkeit, die die beträchtlichen Differenzen innerhalb des „muslimischen Spektrums“ unzulässig ausblendet.

Wir widersetzen uns solchen Fehlwahrnehmungen und den daraus resultierenden Feindbildern: Einerseits halten wir den Propagandisten und Verteidigern des politischen Islam entgegen, dass die Religionsfreiheit kein Freibrief ist, sich über die grundlegenden Werte des säkularen Rechtsstaates hinwegzusetzen, andererseits grenzen wir uns von jenen ab, die die notwendige Kritik an freiheitsfeindlichen Entwicklungen innerhalb der „muslimischen Communities” missbrauchen, um fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren.

Der Grundfehler der deutschen Islam- und Integrationsdebatte besteht darin – und hier arbeiten Islamisten und antimuslimische Rechtspopulisten Hand in Hand! –, dass die Individuen allzu oft auf religiöse oder ethnische Gruppenidentitäten reduziert werden, was die Emanzipation des Einzelnen behindert und die Entwicklung von Parallelgesellschaften fördert.

Entgegen solchen Stereotypisierungen setzt die GBS auf das Leitbild der „transkulturellen Gesellschaft“, in der jeder Einzelne die Chance erhält, sein Leben im Rahmen einer menschenrechtlich verfassten Gesellschaftsordnung autonom zu gestalten, und in der kulturelle Vielfalt tatsächlich als Bereicherung, statt als Bedrohung, erlebt werden kann. Bei allen Unterschieden in den jeweiligen Zielvorstellungen weisen Islamisten und Muslimfeinde in ihren zugrundeliegenden Denkmustern große Gemeinsamkeiten auf: Beide halten zwanghaft an der „Scholle“ ihrer jeweiligen Tradition fest und verteidigen ihr angestammtes kulturelles Getto reflexartig gegen das vermeintlich Feindliche des „Fremden“ („die Ungläubigen“ hier – „die Muslime“ dort). Transkulturalisten hingegen akzeptieren, dass Kulturen einem steten Wandel unterliegen, weshalb es unsinnig wäre, Menschen auf eine bestimmte kulturelle Norm festzulegen, die sie nicht überschreiten dürften. Daher sollte es in der politischen Debatte nicht darum gehen, zwischen den vermeintlich homogenen Kulturen der „Einheimischen“ und der „Zuwanderer“ zu vermitteln. Stattdessen sollten wir es als gemeinsame kulturelle Aufgabe aller hier lebenden Menschen begreifen, diese Gesellschaft im Sinne der universellen Menschenrechte weiterzuentwickeln.

Den inhaltlichen Kern der kurzen Rede stellte die Forderung dar, dass der Islam die Schule der Aufklärung durchlaufen muss, die auch das Christentum gezwungener Maßen absolvierte. Es ist falsch, alle Muslime über einen Kamm zu scheren. Die meisten Muslime in Frankreich, Deutschland und Europa sind bestens integrierte, freiheitsliebende und friedliche Mitbürger. Die Islamverbände in Deutschland und Frankreich haben die schreckliche Bluttat in Paris öffentlich verurteilt.

Doch es ist ebenso falsch zu behaupten, der Anschlag habe mit dem Islam überhaupt nichts zu tun. Aus den Reihen der Teilnehmer schlug uns daraufhin der Satz entgegen: „Sind wir hier bei PEGIDA, oder was?“ Die inhaltliche Ablehnung der Rede zeigt unseres Erachtens nur umso deutlicher, dass eine solche Ansprache notwendig war, da unsere Kritiker scheinbar glauben, eine bloße Differenzierung zwischen (gewaltbereitem) Islamismus und (gemäßigtem) Islam sei ausreichend. Natürlich besteht zwischen beiden ein qualitativer Unterschied. Doch das Fundament für den islamischen Fundamentalismus steckt eben schon im Islam. Solange eine „friedliche Pflanze“ sich nicht von ihren giftigen Dornen befreit, wird sie immer wieder die Gedanken wenigstens einzelner Konsumenten vergiften. Diese Dornen des Islam liegen u. a. in der Bestrafung der Apostasie („Abfall vom Glauben“), der fehlenden Gleichberechtigung von Männern und Frauen, dem Absolutheitsanspruch und der damit einhergehenden fehlenden Toleranz. Sie mündet in die Vorstellung, dass religiösen Dogmen Vorrang gegenüber weltlichen Gesetzen zukommt. Nicht umsonst erkennen zahlreiche islamisch geprägte Mitgliedstaaten der UNO deren Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht an. Stattdessen haben sie mit der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ eine eigene Erklärung verfasst. In Bezug auf das brutale Attentat auf die Mitarbeiter der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ist dabei besonders Artikel 22 herauszustellen, wonach das Recht auf freie Meinungsäußerung drastisch eingeschränkt wird: es ist verboten das Recht auf freie Meinungsäußerung dafür zu nutzen, die Grundsätze der Scharia in Frage zu stellen und die „die Heiligkeit und Würde der Propheten“ zu verletzen. Diese Feststellung „islamophob“ zu nennen verhindert jede vernünftige Auseinandersetzung mit dem Problem und jeden Dialog. Wer hierauf erwidert, dass die Muslime in westlichen Staaten doch zum ganz überwiegenden Teil unsere Werteordnung beachten würden, der bestätigt gerade den Befund, dass diese Werte offenbar nicht Teil der Islamischen Welt selbst sind, denn anderenfalls würden Werte wie Meinungsfreiheit und Demokratie nicht nur „bei uns“, sondern auch in islamisch geprägten Staaten geachtet werden. Ausgerechnet die Worte eines syrischen Flüchtlings in dem Artikel der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) über unsere Gedenkveranstaltung bestätigen dies: „Wer nach Europa kommt, der weiß, dass es hier die Pressefreiheit gibt, jeder hat das zu akzeptieren. Doch man muss vorsichtig sein und den Glauben der Menschen respektieren, um keine Herzen zu brechen.Es ist also nicht der Islam selbst, der seinen Gläubigen vorschreibt, die Freiheit der Presse zu achten, sondern man akzeptiert nur das fremde weltliche Gesetz. Nun wollen wir nicht die Formulierung dieses einen Moslem auf die Goldwaage legen – da dieser unsere Werteordnung respektiert, ist er natürlich nicht mit islamistischen Terroristen über einen Kamm zu scheren (was wir in anderem Zusammenhang auch in unserer Rede betonten!). Doch dies ändert nichts an der Notwendigkeit der Ideologiekritik am politischen Islam!

Wenn Religionen eine adäquate Morallehre für das 21. Jahrhundert sein wollen, dann sollten sie ihren Gläubigen nicht nur auftragen, Demokratie, Toleranz, Religionsfreiheit und weltliche Gesetze in säkularen Staaten zu achten – sondern sie müssen diese universellen Werte zu einem Kern ihrer selbst machen! Und genau dafür ist Aufklärung bitter nötig. So wenig Staatsgrenzen für Ideologien und Terrorismus gelten, so wenig sollten sie für die Menschenrechte gelten.  

Noch trägt der (politische) Islam aber die Dornen der Intoleranz. Dies zeigte sich gerade einmal zwei Tage nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Das Attentat verurteilte Saudi-Arabien zwar als „feigen Terrorakt, der gegen den wahren Islam verstößt“. Doch 24 Stunden später erhielt der liberale Internet-Aktivist und Blogger Raif Badawi die ersten 50 der eintausend (!) Peitschenhiebe, zu denen er wegen Beleidigung des Islams verurteilt wurde und die nun in den nächsten 20 Wochen alle 8 Tage vollstreckt werden sollen. ZEIT Online spricht zu recht von einem „Todesurteil auf Raten“.

Badawi wurde am 17. Juni 2012 verhaftet und wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) angeklagt. Ein islamisches Rechtsgutachten erklärte ihn im März 2013 zu einem „Ungläubigen“. Das Gericht warf ihm vor, er habe Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet, was gegen ein 2014 in Kraft getretenes Gesetz verstoße. Dieses Gesetz sieht im Absatz 1 jede Infragestellung des Islams als terroristische Handlung an und stellt in Absatz 4 die Verbreitung von solch kritischen Inhalten, Slogans, Symbolen, Botschaften usw. unter Strafe, bis hin zur Todesstrafe.

Angesichts solcher Heuchelei muss unbedingt Kritik geübt werden! Radikalisieren lassen sich nur Vorstellungen, die in ihren Ursprüngen bereits vorhanden sind. Genau deshalb fordern wir, dass auch der Islam endlich durch die Schule der Aufklärung geht und so seine Dornen gestutzt bekommt. Diese Forderung nach einer Reformation wird längst nicht nur von den religionskritischen Verbänden wie der Giordano-Bruno-Stiftung erhoben, sondern auch von liberalen Muslimen selbst! Wer dieses Streben nach einem aufgeklärten Islam als „PEGIDA soft“ attackiert, erweist nicht nur den nach Wegen der Integration suchenden westlichen Staaten einen Bärendienst, sondern auch allen Muslimen, die vor den theokratischen Systemen hierher zu uns fliehen und man wird damit auch ganz gewiss nicht Charlie Hebdo gerecht!

3. „Je suis Charlie“ verlangt es, den Mund aufzumachen!

Wir sind massiv überrascht von der in einigen Kommentaren geäußerten Erwartungshaltung, dass Gedenkveranstaltungen „frei von jeglichen Ansichten sein sollten“ und nicht zur Kundgabe von Meinungen genutzt werden dürften. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass auch auf Gedenkveranstaltungen Reden gehalten werden: sei es beim Gedenken an die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001, sei es am Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder sei es am Volkstrauertag. Meistens sind die Reden auch sehr viel länger als unsere 5-Minuten-Ansprache. Wir denken daher: Ob auf einer Gedenkveranstaltung gesprochen wird oder nicht, ist schlicht und ergreifend Geschmacksfrage und unsere Entscheidung als Organisatoren sollte daher respektiert werden und keine „Verbitterung“ auslösen.

Es stimmt, wie eine Kommentatorin anmerkt, die Versammlung wurde „neutral beworben“ als „Je suis Charlie – Gedenkminute“ – neutral kann aber sowohl heißen, dass es eine Rede geben wird oder auch nicht. Da weniger als 24 Stunden zwischen Planung und Durchführung lagen, hatten wir keine ausformulierte Rede. Zuvor hatten wir uns in der Gruppe lediglich darauf geeinigt, keine GBS-Informationsmaterialien auszulegen. Auch nicht die aktuelle Broschüre „Gegen Islamismus und Fremdenfeindlichkeit“, obwohl sie sehr gut zum Thema gepasst hätte. Auch in der Rede haben wir nicht für unsere Stiftung geworben.

Darüber hinaus sprachen unseres Erachtens aber gewichtige Gründe dafür, das Wort zu ergreifen. Vermutlich würde jeder der Teilnehmer den folgenden, der taz entliehenen, Satz unterschreiben: „Die ermordeten Zeichner und Journalisten von Charlie Hebdo sind – man muss das so pathetisch formulieren – Helden. Nicht durch die Umstände ihres Todes sind sie dazu geworden, sie waren es vorher schon. Weil sie, im wahrsten und im schrecklichsten Sinne des Wortes, unerschrocken für liberté, égalité, fraternité gekämpft haben.“ Wer diesen Satz für richtig hält, der muss konsequenter Weise auch darauf eingehen, gegen wen diese Helden denn gekämpft haben – und dies war eben auch die Intoleranz in Teilen des Islam!

Es ist daher schlicht nicht zutreffend, wenn eine Facebooknutzerin schreibt: „Ach man hätte das ganze einfach unkommentiert lassen können, dann wären ich und viele andere jetzt nicht so wütend auf etwas, was eigentlich voll am Thema vorbeigeht!“ Die Kritik am politischen Islam geht alles andere als am Thema vorbei, sondern sie trifft vielmehr aus oben genannten Gründen genau den Kern.

Wer meint, dass wir den Anschlag auf Charlie Hebdo instrumentalisiert hätten, um unsere politischen Ansichten verbreiten zu können, der verkennt, dass dieses Magazin selbst ein äußerst politisches Medium war und ist, denn es bedient sich des künstlerischen Mittels der Satire um politische Inhalte zu kommunizieren. Als solches Instrument wurde es von den Attentätern miss(!)braucht um der Welt zu zeigen, dass niemand ungestraft den Propheten beleidigen dürfe. Die angemessene Reaktion hierauf war es unseres Erachtens, stellvertretend für Charlie Hebdo den Finger in die Wunde zu legen. Anders gewendet: Eine Gedenkveranstaltung zugunsten von Charlie Hebdo, die nicht offen die Probleme und Ursachen des Islamismus anspricht, wird dem Charakter des Magazins nicht gerecht.

Nicht umsonst sagte der Chefredakteur des Magazins, Stéphane Charbonnier, er wolle lieber stehend sterben als auf den Knien leben. Bei manchen Gedenkveranstaltungen mag die Mehrheit Schweigen bevorzugen, doch dieses eindeutig politische Massaker, das die Freiheit des Wortes begrenzen sollte, schrie geradezu nach einer Wortmeldung! Eine Gedenkveranstaltung zugunsten von Charlie Hebdo, die sich in einer bloßen Schweigeminute erschöpft, ist wie eine Satirezeitung ohne Satire. Die Erwartungshaltung, bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die Mitarbeiter von Charlie Hebdo nichts über den Islam zu sagen, ist nicht die Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems. Ayaan Hirsi Ali, eine international bekannte Islamkritikerin und Frauenrechtlerin, schreibt: „Die drei Täter schrien ,Allahu Akbar‘[Gott ist groß]. Sie schrien ,Der Prophet ist gerächt. Charlie Hebdo ist tot.‘ Unsere Pflicht ist es, Charlie Hebdo am Leben zu halten.“ Charlie Hebdo lebte aber davon, eine Stimme zu haben und Kritik zu üben. Wann, wenn nicht nach einem solchen Massaker, hätten die getöteten Mitarbeiter des Magazins zu ihren Stiften gegriffen? Da sie dies nun nicht mehr können, müssen dies andere für die Opfer übernehmen. Genau das sollte es bedeuten, wenn man ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ vor sich herträgt. Wer hingegen Schweigen fordert, weil er Kritik missbilligt, der ist im Grunde gleichermaßen der Intoleranz verfallen. Die Freiheit der Rede darf gerade nicht gebunden sein an die Qualität der Rede.


Presseberichte über die Veranstaltung:

TLZ vom 8. Januar 2015: Fotoserie

TLZ vom 9. Januar 2015: Gedenkminute für Opfer in Paris

MDR Thüringen-Journal vom 8. Januar 2015

MDR aktuell vom 8. Januar 2015 


Online-Artikel, die ebenfalls eine Reform des Islam fordern: (in Bearbeitung)

Humanistischer Pressedienst: Lale Akgün und Mouhamad Khorchide zu islamistischem Terror – Differenzierungen angemahnt:
"Khorchide betont nach den Anschlägen in Paris nachdrücklich, dass die islamistischen Terroristen nicht für “die Muslime” stehen. Distanzierung von ihnen ist notwendig, aber keineswegs ausreichend, so der islamische Reformator. Er vertritt eine eindeutige Position, für die ihn die konservativ-orthodoxen Islamverbände wohl wieder massiv angreifen werden: “Für die Muslime … ist der Terror ein Stachel, der zur Auseinandersetzung mit ihrer Tradition treibt. Von Strömungen, die in Richtung Gewalt gehen, müssen wir uns distanzieren und ein für alle Mal verabschieden. Es hat ja keinen Sinn, zu behaupten, dieser Terror habe ‘nichts mit dem Islam’ zu tun. Die Terroristen sind nun mal Muslime."


Ahmad Mansour im Interview mit der Berner Zeitung, vom 10. Januar 2015: "Die Muslime haben keine Antwort auf den Radikalismus"
In Deutschland ist Mansour eine wichtige und rare muslimische Stimme, die den Islam dezidiert zu Reformen auffordert. Für seine Arbeit erhielt er den Moses- Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz. 


Die ZEIT im Gespräch mit dem türkischen Islamwissenschaftler Ednan Aslan, vom 17. Dezember 2014: "Diese Gewalt wird gepredigt"
Aslan: Welcher Muslim würde sich nicht von einem solchen Gewaltakt distanzieren? Eigentlich müssten wir uns von den religiösen Inhalten distanzieren, auf die gewaltbereite Muslime sich berufen. Wenn wir ehrlich wären, würden wir zugeben, dass wir im Islam seit Jahrhunderten solche Inhalte lehren.
ZEIT: Welche meinen Sie?
Aslan: Dass Allah Gewalt nicht nur rechtfertigt, sondern will. Nicht wenige Imame bringen unser Glaubensbekenntnis bewusst oder unbewusst mit Aggression in Verbindung, mit Folter, Vergewaltigung, Auspeitschen, Töten. Seit dem 15. Jahrhundert hat sich eine Theologie der Gewalt durchgesetzt, und seit dem 17. Jahrhundert ist sie zur Norm erstarrt: Das Schwert wird als Teil unseres Glaubens gesehen. Wir Muslime distanzieren uns heute vom "Islamischen Staat", aber solange wir uns von der dazugehörigen Theologie nicht distanzieren, machen wir uns unglaubwürdig. Warum warten wir immer erst auf eine Gewalttat, bevor wir unsere Stimme erheben?
ZEIT: Aber die meisten Muslime würden doch die Gewalttheologie, von der Sie sprechen, ablehnen.
Aslan: Die Mehrheit weiß gar nicht, dass es nötig ist, sich von dieser Lehre zu distanzieren. Sie wird aber überall gelehrt, von Saudi-Arabien über den Irak und Ägypten bis nach Europa.

Deniz Yücel, Kommentar für DIE WELT, vom 11. Januar 2015:
Islamkritikern wird gerne vorgehalten, dass ihre Kritik nicht möglich sei, da es "den Islam" nicht gebe. Deniz Yücel nutzt dieses Argument nun einmal umgekehrt: 

Genauso unerträglich ist die Formel, die Morde von Paris hätten nichts mit dem Islam zu tun, die nun allenthalben bemüht wird, ob nun aus Furcht vor einem Aufflackern des Rassismus oder aus weniger ehrenhaften Gründen. Es ist Blödsinn. Denn den Islam gibt es nicht, der Islam ist die Summe dessen, was diejenigen, die sich auf ihn berufen, daraus machen.

Und was ein nennenswerter Teil daraus macht, ist Barbarei.
[Anmerkung: Auch hier gilt es im Kopf zu behalten, dass der gelebte Islam in westlichen Staaten natürlich ein anderer ist, als in Saudi-Arabien, Pakistan oder Iran – doch man bedenke allein das zahlenmäßige Verhältnis der Mitglieder!] […]
Es geht nicht um die im Gouvernantenton vorgetragene Aufforderung, man möge sich doch distanzieren (die beste Antwort darauf lautet immer noch: "Deine Mudda soll sich distanzieren!"). Es geht darum, dass die Muslime sich schon um ihrer selbst willen dem Problem stellen müssen, dass diese Irren Teil des Islams sind – und die weltweit meisten ihrer Opfer selber Muslime. Auch ein solches Problem haben die Muslime heutzutage ziemlich exklusiv.


Siamak Asgari, IPG-Journal: Der Islam hat keine DNSWie man Islamismuskritik von Islamfeindlichkeit unterscheiden kann. Fünf Kriterien.
Es bedarf einer solidarischen Kooperation zwischen säkularen Muslimen und humanistischen Nicht-Muslimen. Die säkularen Muslime müssen die Auseinandersetzung mit den Islamisten suchen und für liberale sowie säkulare Positionen plädieren.

Jochen Bittner, ZEIT Online, vom 8. Januar 2015: Was der Islam und der Westen versäumt haben
Die Differenzierung zwischen Islam und Islamismus war nie falsch. Aber sie war unvollständig. Mit der Entlastung der moderaten Mehrheit aller Muslime hätte viel früher auch eine Forderung einhergehen sollen, nämlich jene, dass der Islam sich selbst darüber erforscht, welche Glaubensinhalte, welche geistigen Verkrustungen und welche Anachronismen selbst moderater Koran-Lesarten es sein könnten, die junge Leute irgendwann "Allah ist groß!" rufen lässt, während sie Journalisten niedermetzeln.

Khola M. Hübsch, DIE ZEIT, vom 1. Januar 2015: Für eine muslimische Reformation
Die Vernunft gebiete es, eine allgemeingültige Ethik zu trennen von mehrdeutigen Versen, die sich auf konkrete Situationen beziehen. […] Der Islam, so Ahmad, benötige kein Schwert, sondern eine intellektuelle Auseinandersetzung.
Die religiöse Befreiung wird als geistige verstanden. Dies dürfte der Grund sein, warum die AMJ als einzige muslimische Organisation gilt, die über keinen militanten Flügel verfügt und keine ihrer Jugendlichen an die Dschihadisten verliert. [Anmerkung: Genau warum geht es: nur wenn der Islam bereits die Ansätze von Intoleranz aufgibt, werden sich weniger Islamisten auf ihn berufen.]

Jochen Bittner, ZEIT Online, vom 2. Oktober 2014: Wo bleibt ein Imam der 95 Thesen?
Nicht nur die fundamentalistische Auslegung des Islam, sondern schon seine traditionelle Lesart steht in einem Spannungsverhältnis zum Grundgesetz. Dieser zufolge sind Koran und die Hadithe nicht bloß religiöse Weisungen, sondern Rechtsquellen. Unterschiedliche islamische Schulen, Sunniten und Schiiten sowieso, mögen darüber streiten, wie diese Rechtsnormen auszulegen sind und wie verbindlich sie im Einzelfall gehandhabt werden sollen. Aber die Grundsatzfrage lautet doch: Ist der Koran für viele Muslime, auch in Deutschland, mehr als eine Anweisung zu richtiger islamischer Lebensführung? Ist er ihnen vielmehr Kodex einer Zivilisation?

Muhammad Sameer Murtaza,  ZEIT Online, vom 8. Oktober 2014: Ein Thesenanschlag allein ist machtlos
Braucht der Islam eine Reformation? Es gibt sie längst mit der Salafiyya. Bessere, humanere, weltbejahende Islamauslegungen brauchen aber Zugang zur Macht.

Mouhanad Khorchide im Interview mit DIE ZEIT, vom 12. Oktober 2013: "So kleinlich kann Gott nicht sein"
Die meisten begreifen, dass ich den Islam weiterentwickeln will. […] Was wir heute als islamisches Recht bezeichnen, ist nicht göttlich, das ist von damaligen Rechtsgelehrten entwickelt, die im Geist ihrer Zeit gedacht haben. Auch im Koran vorkommende juristische Aussagen, dass Dieben die Hand abzuhacken sei oder dass Frauen nur halb so viel erbten wie ein Mann, müssen in ihrem historischen Kontext gelesen werden. Nicht solche juristischen Maßnahmen machen die Scharia aus, sondern die Prinzipien dahinter wie Gerechtigkeit. Versteht man sie so, wäre es auch kein Problem, die Scharia mit unseren Menschenrechten zu vereinbaren.

Mouhanad Khorchide im Interview mit DIE ZEIT, vom 11. Oktober 2012: "Gott ist kein Diktator"
Khorchide: Im Christentum ist es gelungen, diese Entmündigung des Gläubigen zu überwinden. Das ist im Islam noch nicht ganz der Fall.

ZEIT: Sehen Sie sich als Aufklärer?

Khorchide: So würde ich das nicht sagen. Verwendet man Begriffe aus dem europäischen Kontext heraus, wird man verdächtigt, man wolle dem Islam etwas Fremdes überstülpen. Die Veränderung kann nur von innen heraus kommen. Wir brauchen keine Aufklärung, wie wir sie aus Europa kennen. Wohl aber eine Reform, die die Mündigkeit und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Khorchide: Dieser Glauben verharrt auf einer recht frühen Stufe. Anstrengender ist es zu sagen: Ich möchte das Gute, um des Guten willen. Ich strebe innere Vollkommenheit an, die ihren Ausdruck in guten Charaktereigenschaften und Handlungen findet. […]

ZEIT: Wie kommt es, dass die Mehrheit der Muslime ein ganz anderes Islamverständnis hat? Die lesen den Koran doch auch.

Khorchide: Der Koran ist im Hocharabisch des 7. Jahrhunderts verfasst. Nichtaraber verstehen den Koran deshalb nur sehr schwer. Wenn Araber ihn lesen, verstehen sie vielleicht 40 Prozent – was die Sprache anbelangt. Noch größere Schwierigkeiten gibt es, wenn es darum geht, die Verse theologisch zu verorten. Die meisten Muslime setzen sich nicht damit auseinander, was wirklich im Koran steht. Deshalb basiert der Glaube bei uns Muslimen oft eher auf dem, was uns erzählt wird. Man greift auf Aussagen von Theologen des 9. und 10. Jahrhunderts zurück.

N24 vom 8. Januar 2015: Veraltete Religion?
Al-Azhar präsentiert sich selbst als Bastion eines moderaten Islam. Doch die Institution schwieg nach Meinung von Beobachtern sowohl liberale als auch radikale Neuinterpretationen des Koran tot. Kritiker wie der Religionsexperte Amr Essat, der für eine ägyptische Menschenrechtsgruppe arbeitet, sehen die Universität sogar als Hindernis auf dem Weg hin zu einem modernen Glauben.
"Jegliche Modernisierung wird letzten Endes gegen Al-Azhar gehen, weil es die konservative Festung in dem System ist", meint Essat. Vielmehr müsse die Autorität der Religion in einer modernen Gesellschaft auf den Prüfstand kommen. "Wir brauchen mehr als nur einen religiösen Diskurs, um die Diskussion zu bereichern", stimmt Essat mit Hellyer überein.

hpd vom 14. Januar 2015: Ehrlichkeit und Selbstkritik unter Muslimen gefordert
"Das sind keine Überlieferungen, die vergessen und unbeachtet in den Bücherregalen oder im digitalen Nirwana verstauben und lediglich von bösen “Islam-Feinden” angesprochen werden, damit sie über eine eigentlich friedliche Religion herziehen können. Vielmehr sind das (unter vielen anderen) eben diejenigen Hadithe, die von gewaltbereiten Muslimen als religiöse Legitimation für terroristische Anschläge ins Feld geführt werden. Und diese Hadithe stehen in denselben Büchern, die auch für die Vertreter des “friedlichen Islam” die zweite Hauptquelle des Islam darstellen! […] Die Phrase “Hat alles nichts mit dem Islam zu tun” erweist sich jedenfalls als höchst unbefriedigend und verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit. Eine befriedigende Lösung zu entwickeln, ist die Aufgabe der islamischen Verbände, der Imame, der Religionslehrer und Islamwissenschaftler. Ob das überhaupt möglich ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Eine freimütige, selbstkritische Diskussion unter den friedliebenden Muslimen über ein mögliches Um-Denken und Neu-Ansetzen im Umgang mit der Religion und ihren Quellen scheint aber der einzige eventuell erfolgversprechende Weg zu sein."

Handelsblatt vom 14. Januar 2015: „Frau Merkel, Sie irren sich!“
Abdel-Samad berichtet in diesem Zusammenhang auch davon, dass Islam-Rechtsgelehrte verärgert seien, wenn er vom „islamischen Faschismus“ spreche „Welchen Islam meinst du? Es gibt ja nicht den einen Islam“, werde er dann gefragt. Allerdings, fügt er hinzu, jubelten die gleichen Anwälte, wenn die deutsche Kanzlerin behaupte, der Islam gehöre zu Deutschland, ohne die Kanzlerin zu fragen welchen Islam sie genau meine. „Bei der Kritik wollen sie gerne differenzieren, bei der Vorteilnahme wollen sie gleich das Gesamtpaket.“

FAZ.net vom 19. Jan. 2015: Die Linke im Muff von tausend Jahren
Der Refrain vom friedlichen, toleranten Islam wurde wiederholt, als sei nichts geschehen. Erst jetzt, wo den Verbänden das Wasser bis zum Hals steht, kommen sie in Bewegung, verschanzen sich aber immer noch hinter der Schutzmauer, die Islam vom Islamismus trennt – wie vor zwanzig Jahren meine linken politischen Weggefährten, nachdem sich die religiösen Motive der Massaker nicht mehr leugnen ließen. […]
Als Nikolaus Schneider im November 2014, damals noch Ratspräsident der EKD, von den Islamverbänden eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Ansatzpunkten für die Legitimierung von Gewalt im Koran und in der islamischen Tradition verlangte, ließ die „taz“ ihr schärfstes Fallbeil auf Schneider niedersausen: „Der Stammtisch wird ihm applaudieren.“
An diesem „Stammtisch“ säßen dann auch einige von meinen muslimischen Freunden, wären sie am Leben gelassen worden von der Gewalt im Namen des Islam. Der algerische Schriftsteller Tahar Djaout etwa, der Satiriker Saïd Mekbel, der Arzt Laadi Flici - sie hätten Nikolaus Schneider applaudiert dafür, dass er die zentrale Frage stellte: die nach den Wurzeln der grenzenlos wachsenden Gewalt im Namen des Islam. An diesem Stammtisch säßen nun auch die Ermordeten von „Charlie Hebdo“. Schon zehn Jahre vor Nikolaus Schneider hatte der tunesische Islamologe Abdelwahab Meddeb geschrieben: „Die Muslime müssen sich der Frage ,Islam und Gewalt‘ stellen. Der Zusammenhang ist ein Faktum, in der Geschichte und in den Schriften. Wir haben es mit einem Propheten zu tun, der selber getötet und zum Töten aufgerufen hat." […]
Auf die Frage, ob die Angst vor dem Islam berechtigt sei oder Ausdruck von „Islamophobie“, sagte Soheib Bencheikh in die Kamera: „Die Angst vor dem Islam ist vollkommen berechtigt. Im Namen dieser Religion werden die schrecklichsten Verbrechen begangen. Im Namen dieser Religion geschieht derzeit eine ungeheure Barbarei. Wenn die Menschen Angst vor dem Islam haben, so ist das völlig normal. Auch wenn ich kein Muslim wäre, würde ich mich fragen, was das für eine Religion ist, auf die sich Verbrecher berufen.“
[…] so sehr weigerte man sich dort, die Schutzwand zwischen Islam und Islamismus zu durchbrechen. Man machte eine Wand aus Muslimen daraus. Man machte sie dadurch unangreifbar, diese Trennwand, dass man sagte, wer den Islam angreife, greife die Muslime an. Als ob, wer den Stalinismus angriff, die Russen angegriffen hätte, als ob, wer das Christentum angriff, die Kirchgänger angriff, als ob, wer den Kapitalismus angriff, die Arbeiter und Angestellten angriff. Im Gegenteil konnte man doch eine Ideologie, eine Religion gerade um dessentwillen kritisieren, was sie aus Menschen machte, die man mochte. […]
Überall auf der Welt, wo der Islam Macht bekommt, werden Frauenrechte und Gedankenfreiheit eingeschränkt, Minderheiten verfolgt. Darauf hinzuweisen, auf diesen gefährlichen Kern des Islam, nicht des „Islamismus“, auch hierzulande, wo er die Macht dazu Gott sei Dank nicht hat, wird von der Linken als „islamophob“ gegeißelt. […]
Für den Islamforscher liegt die beste Möglichkeit zur Bekämpfung des Terrorismus darin, „die religiösen Texte und archaischen Interpretationen und Diskurse anzugreifen, die immer noch Terrorismus hervorbringen und ihn rechtfertigen“. […]
Wie schwer diese Fragestellung sein wird, deutete der muslimische Philosoph Abdennour Bidar im Dezember in seinem „Offenen Brief an die muslimische Welt“ an: „Ich sehe dich ein Monster hervorbringen, das sich ,Islamischer Staat‘ nennt. Das Schlimmste aber ist, dass ich dich deine Zeit und deine Ehre damit verlieren sehe, dich zu weigern, zuzugeben, dass dieses Monster aus dir geboren ist, aus deinen Irrwegen, deinen Widersprüchen, deinem unaufhörlichen Hin- und Hergerissensein zwischen Vergangenheit und Gegenwart, deiner schon zu lang andauernden Unfähigkeit, deinen Platz in der menschlichen Zivilisation zu finden.“
[…] „Die Mauer muss weg“. Die Schutzmauer zwischen Islam und Islamismus. Danach kommen vielleicht blühende Landschaften.

Spiegel Online vom 10. Februar 2015, Muslimischer Religionspädagoge: "Islam ist, was wir draus machen"
Der Kalif Abu Bakr zum Beispiel, der erste Nachfolger des Propheten Mohammed, ließ der Überlieferung zufolge ganze Dörfer niederbrennen, weil sie abtrünnig geworden waren. Das waren im 7. Jahrhundert völlig andere Zeiten, und selbst damals gab es Kritik an diesem Handeln. Aber leider werden solche Rechtsauslegungen nun reanimiert und an theologischen Fakultäten gelehrt, in Saudi-Arabien, Pakistan, der Türkei. […]
Die große Mehrheit der Muslime lehnt Terror ab. Aber die Grundlagen für Gewalt existieren leider noch im islamischen Recht. Manche glauben, dieses Recht sei heute nicht mehr anwendbar. Aber wir erleben, dass es im "Islamischen Staat" junge Menschen gibt, die diese alten Gesetze in die Tat umsetzen. Neu ist das keineswegs: In Iran gibt es immer wieder Steinigungen. Saudi-Arabien richtet fast wöchentlich Menschen mit dem Schwert hin. Das ist ein Teil der islamischen Realität. […]
Einerseits verurteilen wir die IS-Verbrechen in Syrien und im Irak. Andererseits handeln wir mit Ländern, die regelmäßig und systematisch vergleichbare Taten verantworten. Mit dieser Doppelmoral schadet der Westen auch der Demokratie, denn viele Muslime sagen: Wenn das Demokratie ist, verstehen wir sie nicht. Darunter leidet das Image des Westens. […]
Wir müssen die Rechtslehre im Islam reformieren und den Islam aus einer europäischen Aufklärungstradition heraus prägen. Außerdem müssten die theologischen Fakultäten in den islamischen Ländern erneuert werden. Sie müssten zukunftsorientiert lehren, nicht geschichtsorientiert, damit Menschen ohne Widersprüche zwischen moderner Gesellschaft und religiöser Lehre leben können.

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