("Still Sleepwalking Toward Armageddon")
von Sam Harris
Der Islamismus ist das große Thema unserer Zeit ‒ und es ist
ein unglaublich langweiliges Thema. Versuchen Sie mal die Langweiligkeit dieses
Themas bis tief in Ihre Knochen eindringen zu lassen, wenn sie nämlich realisieren,
dass Sie für den Rest ihres Lebens – hoffentlich nicht aus erster Hand ‒ über den
Wahnsinn und die Gräueltaten von Dschihadisten etwas lesen, hören oder
anderweitig zur Kenntnis nehmen werden. Bitte nehmen Sie einmal ganz bewusst dieses
immer wiederkehrenden Allahu akbar – Gekreische war. Denn dies sind die
schrillen Rufe direkt aus dem Mittelalter, mit denen wir für den Rest unseres
Lebens klar kommen müssen. Dieser Kampf gegen den Dschihadismus und im weiteren
Sinne gegen den Islamismus ist ein Generationenkampf. Dies ist etwas, was wir primär
für unsere Kinder und die folgenden Generationen tun. Wir befinden uns in einem
Krieg der Ideen, den wir leider führen und gewinnen müssen. Unglücklicherweise
müssen wir diesen Ideenkrieg zuerst einmal mit uns selbst austragen. Dies
verlangt zunächst das Eingeständnis, dass solch ein Krieg der Ideen, der
geführt und gewonnen werden muss, überhaupt existiert. Das Gleichgewicht sollte
sich endlich verschieben. Dieses Problem zu verleugnen, das Problem des
Islamismus zu verleugnen, zu Verleugnen, dass der Islam als Religion zum
gegenwärtigen Zeitpunkt in der Weltgeschichte spezifische Probleme ohnegleichen
hat, dies alles zu verleugnen muss so ungeheuerlich werden, der eigenen
Reputation so teuer zu stehen kommen, wie als wenn man irgendeine gefährliche
Form von Bigotterie öffentlich von sich geben würde. Es muss auf jeden Fall teurer
sein, als wenn man eine aufrichtige Diskussion über die real existierenden Probleme
führen möchte.
Viele Leute sehen in den Ereignissen von Paris eine Art
Weckruf. Aber wer auf diesem Planeten braucht eigentlich noch einen Weckruf?
Wenn Sie nicht am 12. September 2001 aufgewacht sind, dann gibt es keine
Hoffnung für Sie. Was braucht es eigentlich noch, um Ihre Aufmerksamkeit zu
gewinnen? Es gibt hier nun wirklich keine Überraschungen mehr. Wir müssen diese
unsägliche Überraschtheit endlich loswerden. Es gibt nichts was so
zerstörerisch ist, was diese Dschihadisten nicht tun würden. Die einzige Sache,
die sie wirklich davon abhält Millionen von Menschen zu töten, ist ihr
fehlender Zugang zu den notwendigen Technologien. Und wir müssen sicherstellen,
dass sie diese nie in die Finger kriegen. Die Idee, dass unsere Feinde im
Grunde eigentlich genauso sind wie wir, dass sie diese Welt niemals wirklich in Brand setzen würden, ist völlig illusorisch. Die
meisten Leute empfinden schon allein das Wort „Feind“ als unangenehm.
Dschihadisten als unsere Feinde zu bezeichnen ist irgendwie provokant. Wir sind
so in unserer eigenen Zivilisation verhaftet, dass wir uns einbilden, schlicht
keine echten Feinde mehr zu haben. Und wenn doch, dann haben wir sie uns selbst
geschaffen. Und wenn sich dann doch jemand erdreistet, diese Feinde als
„Barbaren“ zu bezeichnen, na dann kann dies nichts anderes als Volkverhetzung
sein. Nach dieser Sichtweise ist der Dschihadismus nur das Unheil, dass wir
selbst heraufbeschworen haben! Lassen Sie uns das doch mal aus einer größeren Perspektive
betrachten: Ist es ist wirklich reine Kriegsrhetorik, wenn man behauptet, dass
wir eines Tages auf unsere Zeit mit Beschämung zurückblicken werden, und so
etwas wie den IS retrospektiv als Todeskult, als Barbarei, als
Unzuvilisiertheit bezeichnen werden?
Der IS ist in seinen Bestrebungen kaum noch als menschlich
erkennbar. Die Welt die der IS aufbauen will, beinhaltet die Zerstörung von
allem was wir zu Recht für wertvoll halten. Mit mir „wir“ meine ich die
zivilisierte Menschheit, inklusive all der Muslime die genauso entsetzt über
das islamistische und dschihadistische Unternehmen sind, wie ich es bin. Denn
„wir“ haben ein universales Projekt, welches Kulturgrenzen überschreitet und
alle vereint, die Kunst, Wissenschaft und Vernunft im Allgemeinen lieben, die
Krankheiten heilen wollen und die jede neue Generation mit mehr Bildung als die
vorherige aufwachsen lassen wollen. Genau dieses wunderbare zivilisatorische Gemeinschaftsprojekt
wird angegriffen. Wenn man das nicht versteht, wenn man glaubt es gibt hier
zwei ethisch gleichwertige Seiten in diesem Krieg, wenn man glaubt, dass dieses
Phänomen nur eine negative Rückwirkung ist, für die wir irgendwie selbst
verantwortlich sind, dann hat man einfach nicht verstanden, um was es den
Islamisten und Dschihadisten wirklich geht. Dabei sagen sie uns doch pausenlos
was sie eigentlich wollen! Schauen Sie sich doch mal ein paar von diesen Dschihadisten-Videos
an, falls sie das verdauen können. Und falls Sie sowas nicht verdauen können, dann sollte Ihnen genau dies etwas wichtiges
sagen! Unglücklicherweise scheinen wir uns aber immer wieder daran erinnern zu
müssen, dass solche Gräuel tatsächlich, heute und in unserer Welt geschehen.
Nicht alle Menschen wollen das gleiche. Manche Menschen
liegen offensichtlich falsch in dem wie sie leben wollen, in dem wie sie ihre
Welt aufbauen wollen. Wenn wir von dieser Tatsache nicht überzeugt sind, dann
müssen wir offenbar darauf warten, dass wir vielleicht irgendwann durch weitere
Gräueltaten, wie sie in Paris geschehen sind, überzeugt werden. Aber warum eigentlich
warten? Warum nicht jetzt den Kopf
klar kriegen? Denn die Situation die ich am meisten fürchte ist, dass Liberale
und Linke es einfach nicht schaffen, die ganze Dynamik dieses Problems zu
begreifen. Wenn es nämlich so wie bisher weiter geht, dann wird irgendwann eine
Zeit kommen, in der die einzigen Leute, die eine gewisse moralische Entschlossenheit
besitzen, um diesem todeskultischen Verhalten entgegenzutreten, fast genauso
schlimm sein werden, wie die Islamisten selbst. Ich meine damit rechtsradikale,
christliche Faschisten der ein oder anderen Couleur. Sie müssen sich mal
folgende Frage stellen: Wenn Sie Franzose wären und am Tag nach den Pariser
Anschlägen eine Wahl stattgefunden hätte, für wen hätten Sie gestimmt? Angenommen
vergleichbare Anschläge würden noch zehn weitere Male in Paris stattfinden, wen
werden die Franzosen dann wohl wählen? Dieses Massenpsychologie-Experiment lässt
sich momentan in jedem europäischen Staat beobachten und wird zweifellos auch
irgendwann die Vereinigten Staaten erreichen. Und dieses Problem wird nicht von
alleine weggehen. Wir müssen uns auf das was auf uns zukommt ‒ nämlich die Realität
‒ politisch vorbereiten. Wir können nur hoffen, dass die Regierungen hinter den
Kulissen viel mehr Sinn ergeben, als wie sie uns in der Öffentlichkeit im Bezug
auf dieses Thema erscheinen. Die bisherigen, eher halbherzigen und holprigen, Maßnahmen
sind jedoch nicht sehr ermutigend. Als Reaktion auf die Pariser Anschläge haben
sich sogar viele Politiker geweigert das Problem beim Namen zu nennen ‒ obwohl
sie jede Gelegenheit hatten zu erkennen, was eigentlich auf der Welt los ist.
Doch sie weigern sich einfach beständig es auszusprechen, aus genau den Gründen
die uns zweifellos das enorme Ausmaß des Problems vor Augen führen. Diese
Politiker befürchten, wenn sie das Übel öffentlich als „Islamismus“ oder
„islamischer Extremismus“ oder „politischer Islam“ bezeichnen, könnten noch
viel mehr Muslime den Eindruck gewinnen, dass der Westen einen Krieg gegen den
Islam als Ganzes führt. Und dies würde noch viel mehr Muslime direkt in die
Arme der Islamisten und Dschihadisten treiben. Aber wenn dieser Gedanke wirklich
stimmen sollte, dass Millionen oder gar hunderte Millionen von Muslimen
tatsächlich so brüchig in ihren ethisch-moralischen Überzeugungen sind, so einfach
verführt werden können und sich so leichtfertig mit der Theokratie verbünden,
dann sollten wir aufrichtig genau über dieses
Problem sprechen!
Als Präsident Obama vor einem Jahr auf den schrecklichen
Mord am Journalisten James Foley durch einen britischen Dschihadisten an das
Mikrophon trat, klang das folgendermaßen:
„Der IS spricht für keine
Religion [..] und kein Glaube lehrt unschuldige Menschen zu massakrieren. Kein
gerechter Gott steht für das, was sie gestern getan haben und was sie jeden
einzelnen Tag tun. Der IS hat keine Ideologie von irgendeinem Wert für menschliche
Wesen. Deren Ideologie ist bankrott [..]. Wir werden alles tun um unsere Bürger
und die zeitlosen Werte, für die wir stehen, zu schützen. [..] Lassen Sie mich
eines klar stellen: der IS ist nicht islamisch. Keine Religion verlangt das
Töten von Unschuldigen. Und die große Mehrheit der Opfer des IS waren Muslime.
[..] Der IS ist schlicht und einfach eine Terrororganisation. Und er hat keine andere
Vision als alle niederzumetzeln, die ihm im Weg stehen. Möge Gott unsere
Truppen segnen und möge Gott die vereinigten Staaten von Amerika segnen.“
Als Atheist kann ich einfach nicht anders, als mir die Frage
zu stellen, wann dieser Schleier aus Heuchelei und Täuschung endlich in Rauch
aufgeht ‒ entweder durch das klare Licht der Vernunft oder durch eine
Übersättung des Horrors, der durch die Parteien Gottes an den „Unschuldigen“ verübt
wird. Was wird wohl zuerst kommen? Fliegende Autos und Urlaub auf dem Mars oder
das simple Eingeständnis, dass Glaube und Überzeugungen das Verhalten von
Menschen bestimmen, dass bestimmte religiöse Ideen wie Dschihad, Märtyrertum,
Blasphemie, Apostasie zuverlässig zu Unterdrückung und Mord führen? Es mag
stimmen, dass kein Glaube im engeren Sinne das Massakrieren von Unschuldigen lehrt, doch „Unschuld“
liegt im Auge des Betrachters. Sind Apostaten „unschuldig“? Sind es
Gotteslästerer? Sind es Polytheisten? Der Islam hat die Antwort, und seine
Antwort ist „nein.“
Mittlerweile haben sich mehr britische Muslime dem IS
angeschlossen als der regulären britischen Armee. Tatsächlich ist es dem IS
gelungen tausende Rekruten aus freien Gesellschaften aus der ganzen Welt zu
rekrutieren, die jetzt dabei helfen ein Paradies an Unterdrückung und
sektiererischem Gemetzel in Syrien und im Irak aufzubauen. Dies ist ein
erstaunliches Phänomen und es konfrontiert uns mit einigen unangenehmen
Wahrheiten über das Scheitern des Multikulturalismus, der inhärenten
Verletzlichkeit offener Gesellschaften und der angsteinflößenden Macht von
schlechten Ideen.
Ohne Zweifel kommen dem Leser genau jetzt viele aufgeklärte
Bedenken gegenüber meinen Standpunkten in den Sinn. Ich möchte keinesfalls den
Eindruck erwecken, dass die meisten Muslime den IS unterstützen, noch möchte
ich den Hass auf Muslime als Menschen
in irgendeiner Form protegieren oder inspirieren. Wenn ich eine Verbindung
zwischen den Dogmen des Islams und der dschihadistischen Gewalt ziehe, dann
rede ich über Ideen und deren Konsequenzen, und nicht über 1,5 Milliarden
nomineller Muslime, wobei viele von ihnen ihre Religion nicht todernst nehmen.
Doch ein Glaube an das Märtyrertum, der Hass auf Ungläubige,
die Aufopferung für den gewalttätigen Dschihad sind keine bloßen Randphänomene
in der islamischen Welt. Diese beherrschenden Gedanken werden durch Verse im
Koran und durch zahlreiche Hadithe gestützt. Das ist der Grund warum zum
Beispiel der populäre saudische Kleriker Mohammed Al-Areefi sich wie ein
Feldprediger des IS anhört. Dieser Mann hat 9,5 Millionen Follower auf Twitter,
zweimal so viele Papst Franziskus. Wenn Sie hier wirklich einen essentiellen Unterschied
zwischen dem Glauben, den dieser Kleriker predigt, und dem Glauben der die
Grausamkeit des IS antreibt, entdecken, dann sollten Sie einen Neurologen
konsultieren.
Die Lehre des Islams zu verstehen und zu kritisieren und
einen Weg zu finden, Muslime zur Reform zu motivieren, gehört zu den
wichtigsten Herausforderungen mit der sich die zivilisierte Welt momentan
konfrontiert sieht. Doch diese Aufgabe kann nicht einfach dadurch gelöst
werden, in dem man die „falschen Lehren“ der islamischen Extremisten
diskreditiert. Denn die meisten ihrer Ansichten sind im Lichte ihre heiligen
Schrift gar nicht wirklich „falsch“. Der Hass auf Ungläubige ist einer der
zentralen Botschaften des Koran. Die Realität des Märtyrertums und die
Heiligkeit des bewaffneten Dschihad ist im Islam genauso „kontrovers“ wie die
Auferstehung Jesu im Christentum. Es ist kein Zufall dass Millionen Muslime die
Schahāda rezitieren und nach Mekka pilgern. Es ist gleichermaßen kein Zufall,
dass die schrecklichen Videoaufnahmen der Köpfungen von Ungläubigen und
Apostaten eine populäre Form der Pornographie in der muslimischen Welt geworden
sind. Jede dieser Praktiken, inklusive dieser entsetzlichen Mordmethode, findet
explizite Unterstützung durch diese Heilige Schrift.
Zur Zeit gibt es jedoch eine große Industrie der
Verschleierung, die so gestaltet ist, dass sie Muslime davor bewahrt sich mit
diesen Fakten ehrlich auseinanderzusetzen. Unsere geistes- und
sozialwissenschaftlichen Institute sind gefüllt mit Gelehrten und
Pseudo-Gelehrten, die vorgeben Experten für Terrorismus, Religion, islamische
Rechtsprechung, Ethnologie, Politologie und für andere diverse Felder zu sein,
und die immer wieder behaupten, wenn es um muslimische Intoleranz und Gewalt
geht, dass nichts ist wie es scheint. Vor allem behaupten diese „Experten“,
dass man Islamisten und Dschihadisten nicht beim Wort nehmen kann: Ihre
permanenten Verlautbarungen über Gott, das Paradies, das Märtyrertum,
das Übel der Apostasie etc. seien nichts als
eine Maske, welche ihre
wahren
Motivationen verschleiert. Welche wahren Motivationen? Meist sind damit westliche
Projektionen folgender Art gemeint:
„Wie würdest Du Dich fühlen, wenn westliche
Imperialisten und ihre Kartenzeichner Dein Land aufgeteilt hätten, Dein Öl
gestohlen hätten und Deine stolze Kultur gedemütigt hätten? Echte Muslime
wollen eigentlich nur das was jeder Mensch will: politische und ökonomische
Sicherheit, ein Stück Land, welches sie Heimat nennen können, gute Schulen für
ihre Kinder und ein Bisschen Freizeit mit ihren Freunden.“
Leider glauben
viele meiner links-liberalen Freunde genau das. Tatsächlich geht es sogar
soweit, dass wenn man diesen Obskurantismus nicht als einen tiefen Einblick in
die menschliche Natur akzeptiert und nicht bereit ist, seinen Blick von den
unmittelbaren Lehren des Islams zu lösen, man der Bigotterie beschuldigt wird. In
jeder Konversation, die sich mit diesem Thema beschäftigt muss man ständig
einen Schutzwall aus irrelevanten Vorwarnungen und Zugeständnissen
bereithalten:
„Natürlich, die
U.S.-Außenpolitik ist problematisch. Ja, wir müssen wirklich vom Öl unabhängig
werden. Nein, ich habe nicht den Irakkrieg unterstützt. Klar habe ich Chomsky
gelesen. Ohne Zweifel enthält die Bibel vergleichbar grausame Passagen. Ja, ich
habe von dem Bombenattentat auf eine Abtreibungsklinik im Jahre 1984 gehört.
Nein, es tut mir leid, aber Hitler und Stalin wurden nicht durch den Atheismus
zu ihren Taten angetrieben. Die Tamil Tigers? Natürlich habe ich schon von
denen Gehört.“
‒ Wenn das jetzt geklärt ist, können wir nun endlich
aufrichtig über die Verbindung zwischen Glauben und Verhalten sprechen?
Ja, viele Muslime ignorieren glücklicherweise die Apostasie
und Blasphemie ihrer Nachbarn, sehen Frauen als moralisch gleichwertig zu
Männern an und verdammen den Antisemitismus. Doch es gibt auch Muslime die
Alkohol trinken und Schinkenspeck essen. All diese Überzeugungen widersprechen
aber eigentlich den Lehren des Islams zu einem gewissen Grad. Genauso wie dies
Moderate Gläubige in anderen Religionen tun, werden die meisten moderaten
Muslime zu Obskurantisten wenn es darum geht, ihren Glauben vor der Kritik
abzuschirmen. Alle moderaten Gläubigen vertrauen auf moderne, säkulare Werte,
z.B. der Toleranz gegenüber Diversität und dem Respekt gegenüber
Menschenrechten, als eine Basis ihrer Reinterpretation der Religion und der
Ignorierung der abscheulichsten Passagen ihrer Heiligen Bücher. Nichtsdestoweniger
verlangen Sie aber von uns, dass wir die Idee der Offenbarung als solche
respektieren, was jedoch immer eine Hintertür für eine viel wörtlichere
Interpretation der Schriften offen lässt.
Die Idee, dass irgendein Buch durch den Schöpfer des
Universums inspiriert wurde ist Gift ‒ intellektuell, ethisch und politisch.
Und nirgends verursacht dieses Gift zur Zeit mehr Schaden als in den muslimischen
Communities in Ost und West. Trotz der ganzen Barbarei im Alten Testament und
der gefährlichen Eschatologie des Neuen Testaments, ist es doch für Christen
und Juden heute relativ einfach Religion von der Politik und der säkularen
Ethik zu trennen. Eine einzelne Zeile im Matthäus-Evangelium („So gebt dem
Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist!“) ist dabei ein wichtiger
Grund, warum der Westen nicht länger eine Geisel der Theokratie ist. Auch der
Koran enthält einige Zeilen die ähnliches Potential haben, z.B. „Es gibt keinen
Zwang in der Religion“ (2:256). Doch solche Funken der Toleranz werden sehr
leicht ausgelöscht. Den Islam in eine wirklich harmlose Religion zu verwandeln,
verlangt nachwievor nach einer fast wundersamen Reinterpretation der heiligen
Texte. Einige wenige unerschrockene Reformer, wie z.B. Maajid Nawaz, geben ihr
Bestes um dieses Ziel zu erreichen.
Viele glauben, es wäre nicht weise die Verbindung zwischen
Islam und der Intoleranz und der Gewalt die wir in der Muslimischen Welt sehen,
zu diskutieren, weil dies ‒ wie gesagt ‒ den Eindruck verstärken könnte, dass
der Westen sich im Krieg mit dem Glauben an sich befindet und Millionen
eigentlich friedlicher Muslime in den Dschihad treiben könnte. Ich gebe zu,
diese Bedenken sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, doch zeigen sie
einfach nur die Größe dieses Problems auf: Religionen sind in der Lage solch eine
perverse Solidarität zu erzeugen! Sie verursachen in-group–Loyalität und
out-group–Feindseligkeit, selbst wenn die Mitglieder der eigenen Gruppe sich
wie Psychopathen verhalten. Wir müssen irgendeinen Weg finden, diesen
Mechanismus zu untergraben.
Es besteht noch immer in den meisten Gesellschaften ein Tabu
den religiösen Glauben einer Person offen und direkt zu kritisieren. Selbst
manche Atheisten nehmen dieses Tabu an und setzen es gegenüber anderen durch,
weil sie glauben, dass viele Menschen ihre Religion einfach brauchen. „Alles in
Allem ist das Leben ja kein Zuckerschlecken und der Glaube wirkt wie Balsam.“
Die meisten Menschen scheinen zu glauben, dass eine eisenzeitliche Philosophie
das einzig verfügbare Gefäß sei, in das man seine spirituellen Hoffnungen und
existenziellen Nöte gießen könne. Dies ist ein anhaltendes Problem für die
Kräfte der Vernunft, denn die eindrücklichsten und transformativsten
Erlebnisse, die Menschen in ihrem Leben haben können, wie z.B. Glückseligkeit,
Hingabe, Selbst-Transzendenz, sind zur Zeit mit dem schlimmsten Teil der
menschlichen Kultur verknüpft. Sie sind in solchen Denksystemen verankert, die
Aberglaube, Selbstbetrug und Konflikte schüren.
Unter all dem Schaden, der durch Religionen zu diesem
Zeitpunkt in der Geschichte verursacht wird, ist dies der subtilste: Selbst in
Momenten wenn der Glaube am nützlichsten erscheint ‒ wenn er Leute dazu
inspiriert sich in wunderschönen Gebäuden zu versammeln, um über das Mysterium
ihrer eigenen Existenz und ihrer ethischen Hingabe füreinander zu reflektieren
‒ dann enthält er immer auch gleichzeitig die Botschaft, dass man dies nicht
auf einem intellektuell redlichen Weg und ohne Sektierertum erreichen kann. Aber
es gibt einen anderen Weg. Wir können durchaus starke Gemeinschaften aufbauen
und tiefe, ethisch-moralische und spirituelle Leben führen, ohne dass wir
deswegen an polarisierendem Nonsens ‒ wie die göttliche Herkunft bestimmter
Bücher ‒ glauben müssen.
Es ist der irregeleitete Respekt für die „Offenbarung“ der
erklärt, dass sich so viele Politiker in Euphemismen ergehen, wenn sie mit den
krassesten und unvorstellbarsten Erscheinungsformen des religiösen Fanatismus
konfrontiert werden. Vielleicht werden
wir eines Tages tatsächlich „alles tun um unsere Bürger und unsere zeitlosen
Werte zu schützen“. Doch heute sind wir häufig noch nicht ein Mal in der Lage
die religiösen Motivationen unserer Gegner ehrlich zu benennen. Und
währenddessen wir uns weiterhin selbst belügen, legen wir einfach ein Lippenbekenntnis
nach dem anderen für jene Wahnvorstellungen ab, die diese fanatischen Motivationen
erst ermöglichen.