Dienstag, 28. Februar 2012

Für eine Handvoll gebundenes Papier

"Die Ungläubigen haben unseren Koran verbrannt – das Buch, an das wir glauben!"

Der US-Stützpunkt in Bagram.
Foto: US Air Force
US-Präsident Barack Obama hat es vor einiger Zeit in aller Deutlichkeit ausgesprochen: "Die Vereinigten Staaten sind nicht im Krieg mit dem Islam und werden es nie sein." Der Konflikt sei um Himmels willen kein religiöser. Damit sollte auch der gegenteilige Eindruck, den der Kreuzfahrer Bush zuvor kräftig geschürt hatte, geglättet werden.
Auch, wenn so mancher in Obamas Annäherungsversuchen vor allem Unterwürfigkeit sah, war es eine gute Entscheidung, diesen Weg zu betreten. Er wird der Überempfindlichkeit der islamischen Welt gerecht. Vor diesem Hintergrund müssen die jüngsten Ausschreitungen um die mutmaßlichen Koranverbrennungen durch das US-Militär betrachtet werden.


Dass man als Nicht-Angehöriger welcher Religion auch immer deren "heilige" Schriften aus tiefstem Herzen respektieren müsse, am liebsten unter zarten Liebkosungen, ist nicht nur albern, sondern auch unreflektiert. Dass US-Soldaten für das Buch namens Koran nicht viel übrig haben, sei ihnen zugestanden. Dass sie aber derartig hanebüchen damit umgehen, muss ihnen vorgeworfen werden. Ob sie die Exemplare nun einfach weggeschmissen, verbrannt, geschreddert oder als Tischtennis-Schläger benutzt haben, interessiert dabei nicht weiter.
Mit einem "Die sollen sich mal nicht so haben, die Moslems!" kommt man hier nicht weiter – von der wie immer unzulässigen Verallgemeinerung einmal abgesehen. Nein, gewiss sollten sie das nicht, was auch umgehend noch zu besprechen sein wird. Einige haben sich aber so. Die Irren könnten böse werden. Und das stellt einen niemals zu unterschätzenden gesellschaftlichen Faktor dar.
Es lässt sich vermuten, dass die USA und das gesamte westliche Bündnis abseits der kleinen Häufchen an Kollateralnutzen – der paar Brunnen und Schulen – den Afghanen nicht für die nächsten Jahrzehnte mit den Hörnern des Satans in Erinnerung bleiben möchten. Also täten sie gut daran, solche Unachtsamkeiten in Zukunft zu unterbinden, indem sie u.a. jede auch nur im Entferntesten mit dem Islam verbundene Handlung zuvor penibelst auf mögliche Reizreaktionen prüfen.

Trotz alledem darf die Hysterie, die zuverlässig jedes Mal als Folge irgendeiner vermeintlichen "Beleidigung des Islams" auftritt, nicht einfach hingenommen werden. Auf kulturelle Eigenheiten kann und muss man sogar immer verweisen – allzu oft aber wird das damit verwechselt, sie gutzuheißen.
In diesem Fall geht es um den Koran. Die Muslime messen diesem Buch eine menschheitsgeschichtlich sicher einmalige Autorität bei. Es zu "entweihen" gilt als unvorstellbare Sünde, so die abstrakte Notiz. Dass dies hier auch noch durch "Ungläubige" geschehen sein soll, verschärft die Sache nur ein bisschen mehr.
Weshalb genau aber schäumen jene Männer, jung wie alt, die man in den Medienberichten sieht, so über, wenn diesem Papierbündel etwas zustößt? Nachvollziehbar wäre es z.B., um die ganze Druckerschwärze zu trauern, wobei mir nicht bekannt ist, wie viel Patronen in der Region kosten. Tatsächlich sieht die Sache wohl eher so aus: Psychologisch betrachtet bildet sich der Gläubige ein, selbst zu brennen. Das Buch dient hier als Symbol des geglaubten Gottes, über das die eigene Identität hergestellt wird. Ein trauriges, jedoch sehr anschauliches Beispiel dafür, wie Religion Menschen, hierbei geschehen durch Selbstprojektion, von der Wirklichkeit entfremdet.
Mit Feuerbach & co. lassen sich die betreffenden Muslime nun sicher nicht erreichen. Vielleicht aber mit ein paar einfachen Fragen: Wenn der Koran brennt – brennt dann wirklich Allahs Wort? Oder vielleicht doch nur eine Handvoll Papier? Ließe sich die Botschaft Allahs so leicht zerstören? Ist es wirklich das gedruckte Buch, an das ihr glaubt?
Würde es gelingen, die Aufmerksamkeit all jener jetzt blindwütigen Aufgebrachten weg von der koranischen Textausgabe hin zur Textaussage zu bewegen – wir hätten einige Sorgen weniger. Das würde sogar der historischen Bedeutung des Korans gemäß dem Wortsinne entsprechen: Demnach ist der Qur'an das zu Rezitierende – nicht das Aufgeschriebene.

Selbstverständlich wäre es jedem von uns lieber, die Aufklärung hielte umgehend in der islamischen Welt Einzug. Über diesem, ich möchte fast sagen "frommen" Wunsch wird häufig vergessen, wie anders Denkweisen anderer Kulturen aussehen. Allein, dass eine breite Aufklärung des Islams nach europäischer Auffassung überhaupt einmal stattfinde, ist nicht im Geringsten gesagt (weswegen im Übrigen jegliche "Mittelalter"-Vergleiche hinken). Vollendet ist sie ja noch nicht einmal im Westen.
Mein Vorschlag wäre daher: Kümmern wir uns vorrangig darum, bei uns die Aufklärung voranzutreiben und auf der anderen Seite Konflikte mit anderen Kulturen zu vermeiden.


Tom Bioly
gbs Jena

1 Kommentar:

  1. Schöner Artikel, vor allem gut klargestellt, dass eine europäische Aufklärung niemals der islamischen Welt übergestülpt werden kann.
    Jedoch sind es nicht religiöse Gründe alleine, die die Afghanen in diesem Beispiel aufgebracht haben. Den politischen Faktor, also das Bild von Unterdrückten und Besatzern sollte man nicht außer Acht lassen.

    AntwortenLöschen