Montag, 9. April 2012

„Wir wollen mit Ihnen über Gott reden“

So leiten die Zeugen Jehovas im Stereotyp ihre „außendienstlichen“ Gespräche zwischen Tür und Angel ein, meinen es nur gut damit und erhalten nicht selten eine schroffe Abweisung. Zu Recht?

Die Umkehrung dieser bekannten Szene soll Inhalt meiner nicht ganz so ernsten Berichterstattung über einen feierlichen Abend im Umfeld der Zeugen sein. Es lud nämlich ein zum gemeinsamen Abendmahl am 5.4. im „Königreichssaal“, die Jenaer Gemeinde der Zeugen Jehovas (ZJ). Die Thematik war durch die Karwoche und Gründonnerstag vorgegebenen und im Einladungstext wurde verlautbart:

"Jesus ist heute König im Himmel. Was bedeutet das für uns?
Viele sind davon überzeugt, dass Jesus für sie gestorben ist. Doch wieso kann der Tod eines Menschen vor fast 2000 Jahren für viele Menschen heute Leben bedeuten?“


Um nicht völlig unvorbereitet zu sein, hatte ich mir vorher noch einige Dokumentationen und Berichte über diese Religionsgemeinschaft angesehen, die über die bekannte Problematik der für die Zeugen verbotenen Bluttransfusionen hinausgingen (im Blut sehen die Zeugen Jehovas „das kostbare Opfer Jesu Christi“ , Hebr 9,12). Erwartungen lagen in der Luft. Würde die „Gedenkfeier“ genug Raum bieten, um den Zeugen in eindeutiger Weise eine vom Katholizismus und Protestantismus abgrenzbare christliche Identität zuschreiben zu können? Der Einladungstext hätte schließlich von jeder engagierten christlichen Gemeinde stammen können.

Kurz vor Ankunft und in Blickweite der Eingangstüren des Königreichssaals traten mehrere wie Türsteher anmutende Herren in Erscheinung, die die Neuankömmlinge herzlich begrüßten. Ob sie mich bereitwillig oder nur widerwillig aufnehmen würden, schoss mir durch den Kopf? Ich war ganz offensichtlich keiner von Ihnen. Dafür sprach allein schon mein Aufzug, der hoffnungslos informell war. Mein Gedanke war unbegründet, denn man erwiderte meinen Gruß fast schon überschwänglich und sehr zuvorkommend und geleitete mich in den Saal. Auf mein Angebot hin, man könne mir einen jeden hinteren Platz anbieten, da ich nur passiver Beobachter sein werde, bot man mir selbstsicher den wohl mittigsten Platz an, der noch frei war. Bevor die Feier begann, überreichte man mir eines ihrer Gesangbücher und ihre Bibel nach der Neuen-Welt-Übersetzung. Neugierig die ersten Seiten aufschlagend, da ich sehen wollte inwiefern sie sich von der lutherischen Bibel unterschied, las ich dies:

„Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift, übersetzt nach der revidierten englischen Ausgabe 1984 unter getreuer Berücksichtigung der hebräischen, aramäischen und griechischen Ursprache. Revidierter Text 1986.“

Laut ihrem Selbstverständnis entstammt ihre Version der Bibel aus der intensiven und „seriösen“ Beschäftigung mit den Urtexten der Schrift. Dies geschah vor etwa 100 Jahren durch Charles Taze Russel. Die Übersetzung soll harmonisch sein und keinerlei Widersprüche enthalten. Im Gegenteil, sie wäre sogar ihrer Zeit voraus gewesen und wissenschaftliche Themen würde sie korrekt wiedergeben. Außerdem: “Im Gegenteil zu den weltlichen Geschichtsschreibern, die nicht selten die Niederlagen ihres Volkes verschwiegen, waren die Schreiber der Bibel ehrlich.“[1] Dafür spricht u.a. das Offenlegen persönlicher Schwäche (4Mo 20,2-12). Die Schlussfolgerung lautet: aus Ehrlichkeit folgt Wahrheit. Ganz bestimmt!

Nachdem die Gemeinde ein einstimmendes Liedchen trällerte, begann der Teil des Abends, der von ihren zentralen Glaubensinhalten geprägt war. In Kurzfassung: Der Teufel ist die Ursache des Todes eines vollkommenen Menschen, nämlich Adam, nachdem dieser aus dem Paradies vertrieben wurde, verlor er seine Unsterblichkeit. „Der Lohn der Sünde ist der Tod“ (Röm 6,23). Erst eine andere vollkommene Gestalt, Jesus, musste am, ich zitiere „Marterpfahl“ sterben, um als „Lösegeld“ unseren Eintritt in das Paradies auf Erden oder im Himmel zu ermöglichen. Lediglich 144.000 Menschen würden in den Himmel aufsteigen und dort mit Jesus eine Regierung bilden (Apk 14,1). Die herkömmliche Erklärung entgegen der wörtlichen Auslegung geht davon aus, dass die Zahl symbolisch zu verstehen ist. Für Näheres wenden Sie sich am besten an Ihren nächsten Theologen.

Jesus ist nicht gleichzusetzen mit Jehova, er ist den Vorstellungen der ZJ nach nur eine Geistperson an seiner Seite, aber dennoch sein „einziggezeugter“ Sohn. Damit verneinen die ZJ die Trinität. Alle anderen Menschen  ̶  selbstverständlich sind damit nur sie selbst gemeint  ̶  würden im irdischen Paradies leben dürfen (Anm.: ein Spiegel-Artikel berichtete von einem jungen Zeugen, der am liebsten Gottes Gärtner auf Erden werden würde [2]). Und nun aufgepasst, alle überzeugten Naturalisten: 

„Wenn der Mensch stirbt, hört er auf zu existieren. Tod ist das Gegenteil von Leben. Die Toten können weder sehen noch hören noch denken. Nach dem Tod lebt absolut nichts von uns weiter. Wir haben keine unsterbliche Seele und keinen unsterblichen Geist.“[1]

Das gilt im gleichen Maße für die ZJ bevor Jehova sie, und jetzt kommt der Unterschied, sie von den Toten auferweckt, uns böse Menschen aber in unserer Nicht-Existenz belässt.

Der Höhepunkt des Abends folgte mit dem eigentlichen Abendmahl. Nach ihrer Zweiklassen-Theorie dürfen nur ZJ aus dem Kreis der 144.000 von den Abendmahlsymbolen nehmen. Soll bedeuten, das ungesäuerte Brot und der Wein wurden lediglich herumgereicht und niemand (!) kostete davon. Das kam mir entgegen, da ich aus meiner Jugend noch unangenehme Erinnerungen von Fußball-Pokalen hatte, die mehr Körperflüssigkeit enthielten als berauschendes Siegesgetränk. Und hier gab es die ein oder andere Person die möglicherweise, altersbedingt, nicht mehr ganz speichelkontinent war. Zur Ehrenrettung der ZJ: Das gleiche Gefühl habe ich bei Protestanten und Katholiken auch.

Nach dem Schlussgebet und einer letzten Gesangseinlage der Gemeinde war der Festakt abgeschlossen. Der gemeinsame Abend mit den ZJ konnte trotz der Kürze der Veranstaltung  ̶  sie dauerte nicht länger als eine Stunde  ̶  ein recht klares eigenes Profil der Religionsgemeinschaft erkennen lassen. Die Aufmachung ihres „Königreichssaals“ erinnert nicht von ungefähr sehr an amerikanische Gemeindehäuser. Die Ausstattung ist eher puristisch, aber komfortabel. Die Bänke mit dicken Polstern versehen, der Teppich, die Gardinen lassen den Charme eines großen Wohnzimmers zu. Ein hohler, kalter Sakralbau? Fehlanzeige.

Die Internationalität der Gemeinschaft wird stark betont, indem man in Erinnerung ruft, dass ihre Brüder überall auf der Welt im selben Moment diese Feier abhielten. Der Charakter einer „Sekte“, wie man umgangssprachlich sagt, scheint im Festakt selbst nicht durch. Erst mit der Bitte, dass sich jeder von der neuen Ausgabe der regelmäßig erscheinenden Zeitschrift „Der Wachtturm“ bedienen sollte, klang dieser Charakter hervor.

Diese Zeitschrift dient als Sprachrohr der großen Hierarchen der ZJ, die die Denkweise ihrer Mitglieder bestimmen. Es werden darin Weltereignisse “im Lichte der biblischen Prophezeiungen“ erklärt, der Glaube an Jehova gestärkt und der Versuch betrieben, die Angehörigen gegen Einwände von Nicht-Zeugen argumentativ zu rüsten. So ist Thema der April-Ausgabe u.a. eine Auseinandersetzung mit den apokryphen Evangelien, ein gestelltes Haustür-Gespräch, indem die Trinität biblisch zerlegt wird und zahlreiche Geschichten über entlaufene und wiedergefundene Schäfchen.

Das wesentliche Problem im Zusammenhang mit den ZJ besteht darin, dass sie einen sehr sympathischen Ersteindruck auf Neugierige machen. Sie sind überaus hilfsbereit, zuvorkommend und herzlich. Als Beispiel habe ich sogar die private Telefonnummer der Familie des Predigers bekommen. Bibelgespräche mit Interessierten werden ohne Zögern angeboten. Die streng hierarchische Struktur, das Errichten von Denkverboten und die Unmöglichkeit, Kritik zu äußern, wenn man erstmal Zeuge ist, lassen sich jedoch in keinster Weise vorab erahnen. Die Drohkulisse der ewigen Verdammnis und des nahenden „Harmagedons“, das Spielen mit der Angst, und der interne Wettbewerb um die Statistiken aus der Feldmission sind für Außenstehende nicht durchschaubar. Der starke Kontrast zwischen ebenjenem ersten Eindruck und der späteren (internen) Realität ist für Neuankömmlinge, die zweifelsfrei einen Sonderstatus erhalten, eine der größten Gefahren.

Wer sich von dem Charisma der ZJ nicht blenden lässt und sich der beschriebenen Ambivalenz bewusst ist, dem rate ich zu dieser Erfahrung. Nicht zuletzt, um zu wissen wem man eigentlich in Zukunft höflich ins Wohnzimmer bittet oder die Tür vor der Nase zuschlägt. 

[1] Was lehrt die Bibel wirklich, Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft der Zeugen Jehovas, e.V.
[2] http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,565177,00.html

Thomas Gantert
gbs Jena

2 Kommentare:

  1. Das Thema interessiert mich seit vielen Jahren und ich habe schon einige -zum Teil recht bösartige- Texte über die Zeugen lesen müssen. Insofern sticht Ihr Beitrag positiv hervor, dass er die üblichen Unterstellungen unterlässt. Die Erfahren in Bezug auf Freundlichkeit und Offenheit teile ich mit Ihnen. Die Erfahrungen der anschließenden "Gehirnwäsche" kann ich nicht beurteilen, da ich kein Zeuge bin. Ich finde es kritisch, komplexe Themen soweit zu vereinfachen, dass sie beginnen lächerlich zu klingen. Für jeden "freien Christen" (frei im Sinne fehlender institutioneller Anbindung ) sind die Zeugen auf jeden Fall einen Blick wert. Man kan sich durchaus mit den Lehren beschäftigen, ohne sich gleuch taufen zu lassen ;-) Unter dem Aspekt der konsequenten bibeltreuen Umsetzung ihres Lebens verdienen die Zeugen meinen Respekt. Sie haben sich für ihre Überzeugung im KZ umbringen lassen, sie lehnen den Dienst an der Waffe ab, was ihnen in 40 Jahren DDR Verbot, Verfolgung und Inhaftierung einbrachte. Welche "Staats-Christen" können so etwas von sich behaupten ? Von daher finde ich die pointierte Berichterstattung ein wenig unangebracht- ( Ich gebe aber zu, trotzdem einige Male geschmunzelt zu haben ;-) Vielen Dank für diesen Beitrag.

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